Russische Regionen weiter im Kommen

Die russischen Regionen werden für deutsche Unternehmen immer interessanter. Zwei Drittel aller bereits im Land tätigen Firmen wollen ihr Engagement in den nächsten Jahren ausbauen. Bei der Standortwahl sind vor allem die wirtschaftliche Stärke einer Region, eine moderne Verwaltung und das Fachkräfte-Angebot entscheidend.

 

Kaluga, Twer und Moskauer Umland beliebteste Standorte für deutsche Firmen

 

Kaluga, Twer und das Moskauer Gebiet sind nach Meinung deutscher Unternehmen die attraktivsten Regionen in Russland. Das hat die jüngste Regionalumfrage der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) ergeben. Besonders die Nähe zur Hauptstadt sowie niedrige Grundstückskosten und eine investorenfreundliche Verwaltung haben dabei den Ausschlag gegeben.

Daneben bekommen Baschkortostan, Nischni Nowgorod, Tatarstan und der Großraum Sankt Petersburg bei deutschen Investoren gute Noten.

Moskau selbst liegt in der Umfrage nur auf Platz 12. Neben dem hohen Preisniveau dürften auch fehlende Baugrundstücke und die starke Konkurrenzsituation in der Metropole eine Rolle gespielt haben.

Traditionell konzentriert sich das Russland-Geschäft der deutschen Wirtschaft zunächst auf Vertrieb (39 Prozent aller Befragten) und Handel (23 Prozent). Im Dienstleistungssektor sind 42 Prozent der Unternehmen tätig. Immerhin jede vierte deutsche Tochtergesellschaft in Russland hat eine eigene Produktionsstätte.

Dabei haben fast 97 Prozent aller befragten produzierenden Unternehmen Werke in Zentral-Russland errichtet (mit dem Großraum Moskau und den angrenzenden Gebieten). Etwa jede vierte deutsche Firma hat Fabriken in Nordwest-Russland und in der Wolga-Region. Auf den Uralbezirk und Süd-Russland entfallen jeweils ein Zehntel der deutschen Produktionsstätten; auf Sibirien 3 Prozent. Keine Nennungen gab es für den Nordkaukasus und den Fernen Osten.

Auffallend ist, dass sich die deutschen Direktinvestitionen in Russland auf wenige Regionen konzentrieren. Nach Angaben von Rosstat entfielen 2010 fast 90 Prozent des Gesamtvolumens auf fünf Regionen.

Trotz ihrer bereits starken Präsenz wollen die meisten deutschen Unternehmen in Russland ihr Engagement in den nächsten Jahren ausbauen. Zwei Drittel aller Neuinvestitionen fließen dabei in bestehende Standorte. Das findet nicht immer die nötige Unterstützung der örtlichen Administration, kritisiert AHK-Geschäftsführer Michael Harms. "Die Politik schaut oft nur auf Neuansiedlungen und vergisst dabei, dass Erweiterungsinvestitionen auch neue Arbeitsplätze schaffen und die Wertschöpfung der Produktion vergrößern."

Immerhin haben die Regionalverwaltungen inzwischen verstanden, dass sie sich grundsätzlich mehr um das Geschäftsklima kümmern müssen. Viele Gemeinden bieten fertige Gewerbeparks an und locken Unternehmen mit Steuervergünstigungen, niedrigen Energietarifen oder attraktiven Grundstückspreisen.

Doch deutsche Unternehmen lassen sich von solchen Rabatten und Subventionen eher weniger überzeugen. "Kein Investor geht wegen ermäßigter Steuersätze nach Russland", glaubt Gerd Lenga, Generalbevollmächtigter des Baustoffherstellers Knauf in Russland. Das Steuersystem sei ausreichend einfach.

Auch René Schlegel, Repräsentant der Bosch-Gruppe in Russland, findet Sonderwirtschaftszonen überflüssig. "Letztendlich müssen die Steuerausfälle an anderer Stelle kompensiert werden", begründet er. Besser sei, wenn es einen gleichen Wettbewerb der Regionen um Investoren gäbe.

Für Schlegel ist vor allem die Kompetenz der lokalen Behörden ein wichtiger Faktor bei der Standortwahl. Da habe Russland noch viel Nachholbedarf. "Jede Region müsste den Investoren einen Sherpa an die Seite stellen, der immer verfügbar und ansprechbar ist", schlägt Schlegel vor. Diese Ombudsleute sollten die Unternehmen bei Behördengängen begleiten und vermitteln, wenn Projekte ins Stocken geraten.

Die Bosch-Gruppe ist in Russland an 50 Standorten präsent und beschäftigt über 2.500 Mitarbeiter. Der Umsatz konnte 2010 um 36 Prozent auf fast 670 Millionen Euro gesteigert werden. Bosch produziert Zündkerzen und Kabelbäume bei Saratow und zusammen mit Siemens Kühlschränke bei Sankt Petersburg. Dort geht 2012 eine neue Fertigungslinie für Waschmaschinen in Betrieb. In das neue Hauptquartier bei Moskau investiert das Unternehmen 100 Millionen Euro.

Außerdem richtet Bosch in Kasan ein neues Call-Center mit 280 Mitarbeitern ein, das für alle Kundenanfragen weltweit zuständig sein wird, die in russischer Sprache gestellt werden.

 

Angebot an Fachkräften spielt immer wichtigere Rolle

 

Bei der Standortauswahl in Russland sind für deutsche Unternehmen die entscheidenden Faktoren das Wirtschaftspotenzial einer Region, die Infrastruktur, Verfügbarkeit von Informationstechnologie und Telekom-Dienstleistungen, die Energieversorgung und die Kooperation mit den Geschäftspartnern.

Immer wichtiger wird die Verfügbarkeit von Arbeitskräften. "Wenn wir die Umfrage in diesem Jahr durchgeführt hätten, hätte dieser Punkt an erster Stelle gestanden", erklärt AHK-Geschäftsführer Harms.

Laut Knauf-Manager Gerd Lenga sei es sehr schwierig, gut ausgebildete Handwerker zu finden sowie Personal, das neue Technologien anwenden kann. Viele Unternehmen sind gezwungen, in eigene Ausbildungseinrichtungen zu investieren.

Die Knauf-Gruppe hat 16 solcher Zentren in Russland aufgebaut und bereits 55.000 Fachkräfte für den Trockenbau ausgebildet. Das geschieht nicht ganz uneigennützig. Nur wenn es genügend Spezialisten für die Verarbeitung von Gipskarton-Platten und anderen Knauf-Baustoffen gibt, kann das Unternehmen seine Produkte erfolgreich verkaufen.

Die Knauf-Gruppe hat 17 Produktionsstätten in Russland. Das östlichste Werk soll noch in diesem Jahr bei Irkutsk in Betrieb gehen. Die Investitionen belaufen sich auf 60 Millionen Euro.

Den Personalmangel kennt auch Bosch-Repräsentant Schlegel. "Wenn wir uns einen Standort anschauen, besuchen wir vor der Stadtverwaltung deshalb zuerst oft die örtliche Technische Hochschule." Das Ausbildungsniveau in einer Region sei sehr wichtig, und Lehrpläne, Dozenten und Abschlussarbeiten vermittelten einen guten Eindruck von den Absolventen.

Neben dem Personalangebot spielen häufig auch ganz profane Gründe eine Rolle bei der Wahl einer Region. "Wir sind gezwungen, da zu investieren, wo die Rohstoffe lagern", sagt Knauf-Vertreter Lenga. Die Standortwahl sei für sein Unternehmen nicht immer freiwillig. Zuweilen versuchten die örtlichen Administrationen das auszunutzen.

Auch der deutsche Glasspezialist Schott hat sich in Russland einen Standort in der Nähe der Rohstoffbasis gesucht. In Bor bei Nischni Nowgorod hat das Unternehmen zwei Fabriken zur Produktion von Flachglas und von Ampullen für die Medizinwirtschaft errichtet.

"Wir brauchen spezielle Sandqualität", sagt Verkaufsmanager Rüdiger Wagner. "Wenn der Sand mehr als sechzig Kilometer transportiert werden muss, ist die Produktion nicht mehr rentabel", erklärt er die Standortwahl. Bor ist ein klassisches Zentrum der russischen Glasindustrie.

Neben dem Personalmangel ist die schwache Zulieferindustrie ein Hemmnis für deutsche Investitionen in Russland, erklärt Bosch-Repräsentant Schlegel. Viele einheimische Hersteller seien es nicht gewohnt, mit spitzem Bleistift zu kalkulieren und zugleich die gewünschte Qualität zu liefern, weil sie bislang nur russische Abnehmer hatten.

Bestimmte Rohmaterialien sind laut Schlegel im Ausland oft billiger erhältlich als in Russland. "Eine lokale Produktion lohnt sich aber oft nur, wenn ein Teil auch lokal eingekauft werden kann." Hier habe Russlands Industrie noch erheblichen Modernisierungsbedarf.

 

  • Autor: Gerit Schulze

Quelle; Germany Trade and Invest, gtai online-news, 02.09.2011