Brasilien: Mangel an Infrastruktur und Fachkräften

Nach Einschätzung von Branchenkennern besteht das größte Hindernis für den Ausbau der Internetversorgung in Brasilien in der fehlenden Infrastruktur und dem Mangel an Fachkräften, die die Netze installieren und betreuen können. Die Getulio-Vargas-Stiftung errechnete, dass derzeit etwa 90.000 Arbeitsplätze im Bereich Informationstechnologie (IT) wegen fehlender qualifizierter Arbeitskräfte nicht besetzt werden können.

Das Defizit könnte sich, wenn Brasilien nicht gegensteuert, bis 2014 auf 800.000 ausweiten. Experten verlangen deshalb, dass vor allen die Universitäten einen Schwerpunkt auf die Ausbildung für technische Berufe legen sollen. Vor allem in den BRIC-Ländern China und Indien hat sich die Zahl der Studienanfänger in ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen in den vergangenen Jahren rapide erhöht. So sind in Indien zwei Drittel der Studenten in technischen Disziplinen eingeschrieben. In Brasilien sind es nur 14 Prozent.

 

Brasilien rüstet sich für Telekom-Boom

 

Starkes Wachstum bei der Mobil-Kommunikation

 

Eine der wichtigsten Herausforderungen im größten Land Lateinamerikas ist die Anbindung der ländlichen Regionen, für die bislang vielerorts kein Internetzugang besteht. Schon zu Beginn ihrer Präsidentschaft machte Staatschefin Dilma Rousseff den Online-Ausbau zu einem Schwerpunkt ihrer Regierungsarbeit. Mit dem Nationalen Plan für Breitband-Internetzugang (Plano Nacional de Banda Larga) soll die Zahl der Internetanschlüsse von derzeit rund 15,8 Millionen auf 40 Millionen erhöht werden. 2012 soll die Vergabe von Lizenzen für ein ländliches mobiles Internet starten.

Den größten Wettbewerb hat es seit der Marktöffnung 1997 im Mobilfunkbereich gegeben. Dort liegt die Versorgung aktuell bei 104 Prozent. Das heißt, 202 Millionen (Mio.) Brasilianer haben einen Handy-Vertrag abgeschlossen, rund 82 Prozent davon Prepaid. Auch das Smartphone entwickelte sich schnell zu einem Verkaufsschlager und der Absatz übertraf alle Erwartungen. 2010 stieg die Zahl der verkauften Geräte auf 10 Mio. Damit überflügelte der Smartphone-Absatz erstmals den Verkauf von Computern.

Als Folge des starken Wettbewerbs geht die Regulierungsbehörde Anatel von weiter sinkenden Minutenpreisen bei den traditionell hohen Mobilfunkkosten aus. 2010 ging der Minutenpreis um 19 Prozent zurück. Für 2011 wird ein weiterer Rückgang von 20 Prozent erwartet.

Weniger ausgeprägt ist der Wettbewerb bei der Versorgung mit Breitband-Internet. Auf dem Markt sind insgesamt nur drei große Anbieter aktiv. Nach Expertenmeinung ist der mangelnde Wettbewerb verbunden mit international vergleichsweise hohen Benutzerkosten Ursache für das geringe Wachstum in diesem Sektor. Eine Ausnahme bildet der Internetzugang über Kabelfernsehnetze, weil diese mehr Versorgungssicherheit bieten. Als größter Anbieter verbuchte Net 2010 einen Zuwachs von 43 Prozent bei den Vertragsabschlüssen und 3,82 Mio. Kunden.

 

Steigende Nachfrage nach Softwarelösungen

 

Nach Einschätzung von Experten wird der Ausbau der Informationstechnologie vor allem durch anhaltend hohe Investitionen in den Bereichen Infrastruktur, Logistik, Energieversorgung und der Erdölindustrie stimuliert. Auch Versicherungen, Finanzdienstleister und Gesundheitsversorger werden in den kommenden Jahren überproportional in ihr IT-Netz investieren. Durchschnittlich reinvestieren die brasilianischen Unternehmen nach einer Untersuchung der Getulio-Vargas-Stiftung rund 6,7 Prozent ihrer Einnahmen in den Ausbau ihres IT-Netzes.

Auch Branchen wie die Landwirtschaft sowie kleine Unternehmen, die bislang nur in geringem Maße Computertechnik eingesetzt haben, werden verstärkt in die digitale Anbindung investieren. Deshalb liegt eine große Herausforderung für Softwarehersteller darin, diese Klientel mit abgestimmten Produkten anzusprechen. Ein Vorteil besteht nach Einschätzung von Experten darin, dass diese Unternehmen in die neueste Technologie investieren können, ohne dass es zu Kompatibilitätsproblemen mit bereits vorhandener IT-Technik kommt.

Das Volumen des IT-Marktes beläuft sich auf 30,2 Millarden (Mrd.) US-Dollar (2009). Den größten Anteil macht mit 48 Prozent die Hardware aus, gefolgt von Service und Dienstleistungen (35 Prozent) sowie der Software (17 Prozent). Beobachter erwarten, dass der Anteil der Informationstechnologie am Bruttoinlandpürodukt (BIP) von 1,8 Prozent in diesem Jahr auf 3,0 Prozent steigen wird. Der Umsatz würde damit auf etwa 53 Mrd. US-Dollar anwachsen, wie das Forschungsinstitut IDC errechnete. In Europa und den USA liegt der Anteil der Informationstechnologie am BIP bei 4 Prozent und mehr.

Die Wachstumsaussichten lassen Brasilien zu einem attraktiven Investitionsstandort für Software- und Technologie-Unternehmen werden. So kündigte IBM eine Ausweitung seiner Aktivitäten von 20 auf 35 Städte an. Größte internationale Konkurrenten sind Dell, Sun und HP sowie die brasilianischen Unternehmen UOL, Global Crossing und Tivit.

Nach einer Untersuchung des Ministeriums für Kommunikation wurden in den vergangenen 12 Monaten rund 1,8 Mio. neue Internet-Anschlüsse verlegt. Damit haben 51 Prozent aller Brasilianer, die älter als 16 Jahre sind, die Möglichkeit, online zu gehen. Eingerechnet ist dabei auch der mobile Internetzugang durch Handys, den inzwischen 18,6 Mio. Brasilianer nutzen. Insgesamt verfügen 61 Prozent der Haushalte der Oberklasse und der traditionellen Mittelklasse über einen Internetzugang, während nur 22 Prozent der Haushalte der unteren Mittelklasse online sind. Die Internet-Versorgung in den ärmeren Stadtteilen und ländlichen Siedlungen beträgt nur 4 Prozent.

Weit verbreitet ist für diese Bevölkerungsschicht der Gang ins Internet-Café. Um vor allem jungen Menschen den Online-Zugang zu ermöglichen, steuern einige Kommunen mit kostenfreien Internet-Angeboten diesem Defizit entgegen. Vorreiter ist der Bundesstaat Rio de Janeiro, wo bis zum Jahresende 100 Zentren für ein Gemeinschaftsinternet (Centro de Internet Comunitária - CIC) installiert werden sollen.

Die gestiegenen Einkommen der Mittelklasse werden nach Überzeugung von Branchenkennern Brasilien zum weltweit drittgrößten Absatzmarkt für Computer aufsteigen lassen. Heute liegt Brasilien auf Platz fünf. 2010 wurden 85 Mio. Computer und damit 18 Prozent mehr als im Vorjahr verkauft. Damit verdoppelte Brasilien innerhalb von drei Jahren den Absatz von Computern, wie aus einer Studie der Getulio-Vargas-Stiftung hervorgeht.

 

Fußball-WM in Brasilien stimuliert Breitband-Ausbau

 

Einen Schub in der Breitband -Internetversorgung verspricht sich Brasilien von der Fußballweltmeisterschaft 2014. In den zwölf Austragungsorten sollen überall schnelle 4G-Internetverbindungen mit Geschwindigkeiten von 50 bis 100 Megabyte pro Sekunde verfügbar sein, wie Kommunikationsminister Paulo Bernardo ankündigte. Die Versteigerung der Lizenzen für den Mobilfunkstandard 4G soll im April 2012 beginnen. "Der Plan ist, dass diese Technologie die meist genutzte während der Fußball-WM wird, denn sie ermöglicht die Konzentration von vielen Geräten und garantiert eine schnelle Datenübertragung", sagte Bernardo.

Markführer auf dem Telekommunikationsmarkt in Brasilien ist Telefónica (Spanien) mit einem Umsatz von 21,4 Mrd. US-Dollar (2010) gefolgt von Telmex (Mexiko) mit 19,7 Mrd. US-Dollar Umsatz. Der brasilianische Anbieter Oi mit Firmensitz in Rio de Janeiro und die TIM (Italien) kommen jeweils auf einem Umsatz von 18,7 Mrd. US-Dollar. Bis auf TIM sind alle Unternehmen im Bereich Festnetz, Internet, Mobilfunk und Pay-TV aktiv. Größter Internetanbieter ist Oi mit mehr als 22,5 Mio. Festnetzanschlüssen und einem Marktanteil von 30 Prozent, gefolgt von Net (25 Prozent), dem größten Anbieter von Kabel-TV, der zur Telmex-Gruppe von Eigentümer Carlos Slim gehört.

Ein weiterer Schwerpunkt ist der Netzzugang für die ländliche Bevölkerung. Ab April 2012 soll die Vergabe von Frequenzen für ein mobiles Internet für ländliche Regionen starten. Als Vorbild gilt Schweden, wo das Modell schon erfolgreich praktiziert wird. Der führende schwedische Anbieter Net1 und auch Ericsson als Lieferant von Anlagen und Antennen bekundeten bereits Interesse an der Versteigerung.

Die Jobnachfrage in der IT-Branche wächst jedes Jahr um 6,8 Prozent. Bis 2013 werden nach Einschätzung des Meinungsforschungsinstitutes IDC 2.700 neue IT-Firmen entstehen, die 1,2 Mio. Arbeitsplätze schaffen. Die größten Impulse bekommt der Sektor durch die Expansion von IT-Dienstleistungen. 53 Prozent der neu entstandenen Unternehmen spezialisieren sich demnach auf Service und Instandhaltung der IT-Infrastruktur, wie aus der Prognose von IDC hervorgeht.


Quelle: gtai Online-News, 31.10.2011