EU mit umfangreichen Hilfen für arabische Transformationsländer

Seit Beginn des "Arabischen Frühlings" hat die Europäische Union (EU) ihre Politik gegenüber den südöstlichen Mittelmeerstaaten revidiert. Daraus resultieren neue Konzepte der Zusammenarbeit und höhere Mittel, vor allem für die Unterstützung von Demokratie, Zivilgesellschaft und Wirtschaft.

 

Teilweise eröffnen die EU-finanzierten Programme auch Marktchancen für EU-Unternehmen. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung hat Mandat und Darlehensvergabe auf den südöstlichen Mittelmeerraum ausgeweitet.

 

Als Antwort auf die Umbrüche in den arabischen Nachbarländern veröffentlichte die EU-Kommission 2011 zwei sogenannte Mitteilungen. Darin legt sie ihre neue Mittelmeerpolitik ("Eine Partnerschaft für Demokratie und Wohlstand mit dem südlichen Mittelmeer", 8.3.11) sowie die Neuausrichtung ihrer gesamten Nachbarschaftspolitik ("Eine neue Antwort auf eine Nachbarschaft im Wandel", 25.5.11) dar. Auf diesen Positionspapieren basieren die konkreten Aktionen und Fördermaßnahmen, die seitdem erfolgt und weiter zu erwarten sind.

 

Im Fokus der Mai-Mitteilung stehen Demokratisierung ("deep democracy" mit Elementen wie Aufbau von Institutionen, Meinungsfreiheit, faire Wahlen, Korruptionsbekämpfung), Stärkung der Zivilgesellschaften (Demokratiestiftungen, Medien, Menschenrechtsdialoge) und Hilfe bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung (unter anderem stärkere industrielle Kooperation, Mikrokredite, Förderung von Direktinvestitionen durch europäische Kleine und Mittelständische Unternehemen (KMU), Pilotprogramme für ländliche Entwicklung sowie Unterstützung regionaler Entwicklungsprogramme). Letztere soll maßgeblich durch wirtschaftliche Integration (tiefe und umfassende Freihandelszonen) und durch verstärkte sektorbezogene Zusammenarbeit (Verkehr, Energie, Technologie, Umweltschutz/Klimawandel) erfolgen.

 

Dabei macht die EU deutlich, dass sie bei ihren Finanzhilfen von den Partnern Rechenschaft verlangt und die Förderhöhe von konkreten Reformfortschritten abhängig macht.

 

EU erhöht Förderung

 

Die genannten Ziele will die Union mit der Umschichtung von Haushaltsmitteln, der Neufokussierung bereits zugesagter Gelder und zusätzlicher Mittelvergabe erreichen. Über die 5,70 Milliarden Euro hinaus, die den südlichen und östlichen Nachbarländern für den Zeitraum 2011 bis 2013 bereits bewilligt worden waren, stockt sie ihre Förderung bis 2013 um weitere maximal 1,24 Milliarden Euro auf.

 

Verstärkt wird auch die Präsenz in der südlichen Nachbarschaft. Bereits erfolgt sind die Eröffnung einer EU-Delegation in Libyen, die Ernennung eines Repräsentanten für Nordafrika sowie die Einrichtung erster gemischter Task Forces zur Unterstützung des politischen Wandels in Kernländern.

 

Eine wichtige Rolle spielt die Darlehensvergabe durch die beiden europäischen Förderbanken, die große Infrastrukturvorhaben in den Partnerländern unterstützen und die Kernsektoren Energie, Umwelt und Transport besonders fördern. Dabei werden auch Zuschüsse der EU mit Darlehen der EU-Entwicklungsbanken kombiniert ("Blending").

 

Die Kreditvergabe durch die Europäische Investitionsbank (EIB) für die südlichen Nachbarn wurde in Reaktion auf die Umbrüche um 1 Milliarde auf knapp 5 Milliarden Euro aufgestockt. Ferner stellt die EIB im Rahmen der Investitionsfazilität Europa-Mittelmeer (FEMIP) im Zeitraum 2007 bis 2013 rund 10,7 Milliarden Euro zur Verfügung, um durch Investitionen, besonders in Infrastruktur und Privatsektorentwicklung, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in der Region zu fördern.

 

Für die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) ist das Mandat auch auf den südlichen und östlichen Mittelmeerraum ausgeweitet worden. Zunächst soll die Bank aus Eigenmitteln jährlich bis zu 2,5 Milliarden Euro Finanzierungsvolumen bereitstellen. Außerdem sind bereits "Cooperation Funds" für Technische Hilfe bewilligt worden, um Projekte zunächst in Ägypten, Tunesien und Marokko sowie bald in Jordanien vorzubereiten (Schwerpunktbereiche: Finanzierung für Unternehmen, insbesondere KMU, Energiesektor, Infrastrukturentwicklung, Wertschöpfungskette im Agribusiness).

 

In einer zweiten Phase sollen weitere "Special Funds" für Kreditmittel bereitgestellt werden. Die Bank hat Anfang 2012 auch Büros in Kairo und Casablanca eröffnet.

 

Als Reaktion auf den Arabischen Frühling legte die EU-Kommission am 26.9.11 ein umfassendes "Programm zur Unterstützung für Partnerschaft, Reform und integratives Wachstum des südlichen Mittelmeerraums" auf (SPRING; geplante Mittel von 350 Millionen Euro für 2011/2012, aus dem EU-Haushalt 2011 sind bereits 65 Millionen Euro verpflichtet). Sie unterstützt damit den Demokratie- und Institutionenaufbau und stärkt die Zivilgesellschaft und wirtschaftliche Entwicklung.

 

Erste Projekte betrafen Tunesien, Ägypten, Jordanien und Marokko, aber auch länderübergreifende Hilfen wie für den Hochschulbereich (Erasmus Mundus) und die neu geschaffene Nachbarschafts-Zivilgesellschaftsfazilität. Durch Letztere stellt die EU aus den Haushalten der Jahre 2011 bis 2013 jeweils 22 Millionen Euro zur Stärkung nicht-staatlicher Akteure bereit.

 

Hilfe bei der Demokratisierung ist ein wichtiges Anliegen der EU. So richtet sich eine mit 4 Millionen Euro dotierte Sondermaßnahme zur Stärkung demokratischer Reformen in der südlichen Nachbarschaft an öffentliche Institutionen, Parlamente und die Zivilgesellschaft. Ausschließlich der Demokratisierung dient auch die unabhängige "European Partnership for Democracy" (EPD), die europäische NRO und zivilgesellschaftliche Akteure für den Erfahrungsaustausch und Projekte zusammenbringt.

 

Für Libyen stellt die EU im Rahmen des EPD 2012/2013 zusätzlich 60 Millionen Euro bereit. Ferner baut die EU gegenwärtig das "European Endowment for Democracy" für Nordafrika auf, um damit Parteien, NRO und Aktivisten in autoritär regierten oder Übergangsstaaten zu unterstützen.

 

Länderprogramme für einzelne Staaten

 

Ihre zehn südlichen und sieben östlichen Nachbarstaaten fördert die EU seit 2007 durch das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI) in Form nationaler, regionaler und überregionaler Programme. So unterstützt sie mit dem Interregionalen ENPI-Jahresaktionsprogramm 2011 (Teil II) die Nachbarschaftsinvestitionsfazilität (100 Millionen Euro; davon 66,7 Millionen Euro für den Süden.)

 

Tunesien

 

Bei den ENPI-Länderprogrammen plant die EU mit Tunesien Maßnahmen zu den Themen Migration, Mobilität und Sicherheit. Das Jahresaktionsprogramm 2011 zielt auf Hilfe beim politischen und wirtschaftlichen Übergang mittels Konjunkturförderung (90 Millionen Euro) und Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Dienstleistungssektors (20 Millionen Euro).

 

Eine Sondermaßnahme 2011 für benachteiligte Landesteile (20 Millionen Euro) fördert Demokratie und Wirtschaft (Beschäftigung, Mikrokredite, Verbesserung der Lebensbedingungen).

 

Das Programm 2012 wird voraussichtlich 80 Millionen Euro umfassen und auf Wirtschaftsreformen sowie die Förderung von Beschäftigung und ärmster Landesteile ausgelegt sein.

 

Marokko

 

Für Marokko gibt es EU-finanzierte Projekte aus dem Jahresaktionsprogramm 2011 für 85 Millionen Euro, für die Gleichstellung von Mann und Frau (35 Millionen Euro) sowie die sozioökonomische Entwicklung der ländlichen Provinzen im Norden (19 Millionen Euro).

 

Durch das Programm 2012 wird die Kommission voraussichtlich Forstwirtschaft, öffentliche Dienstleistungen, Gesundheitsversorgung und Abbau von Slums unterstützen (137 Millionen Euro).

 

Algerien

 

Das Jahresprogramm 2011 für Algerien zielt auf die Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche (23,5 Millionen Euro), die Reform des Verkehrssektors (13 Millionen Euro) und die Förderung des Kulturerbes (21,5 Millionen Euro). Die aus dem Haushalt 2012 geplante Kooperation mit Algerien (64 Millionen Euro) soll sich auf Fischerei und Umwelt richten.

 

Ägypten

 

Das ENPI-Ägypten-Programm 2011 legt die Schwerpunkte auf Infrastruktur (Verbesserung der Lebensbedingungen und Wohnungssanierung in der Großregion Kairo, 20 Millionen Euro), Energie (nachhaltige Energie- und Wasserversorgung, erneuerbare Energien, 60 Millionen Euro) sowie Wirtschaftsförderung (Reformen für Handel, inländischen Markt und breitenwirksames Wirtschaftswachstum, 20 Millionen Euro). Unterstützt werden ferner KMU im landwirtschaftlichen Bereich (22 Millionen Euro).

 

Ägypten ist außerdem vorrangiger Kandidat für die Mobilitätspartnerschaft. Die 2012 zu beschließende Förderung wird sich voraussichtlich auf Wasser- und Abfallwirtschaft sowie technische und berufliche Bildung konzentrieren (etwa 135 Millionen Euro).

 

Libyen

 

Für Libyen verabschiedete die EU im Februar 2011 restriktive Maßnahmen, gab sie im Dezember aber frei, um die neuen libyschen Behörden und die Wiederbelebung der Wirtschaft zu unterstützen.

 

Die ENPI-Planungsdokumente betreffen vorranging Migration und den Umgang mit den Folgen des Konflikts, zum Beispiel die Abänderung einer Maßnahme von 2010 zur Unterstützung der libyschen Behörden beim kurz- und langfristigen Management von Migration in und aus Libyen (10 Millionen Euro).

 

Eine ergänzende Sondermaßnahme wendet sich an die Zivilgesellschaft (3,1 Million Euro), die öffentliche Verwaltung (4,5 Millionen Euro) und den Bildungssektor (2,4 Millionen Euro).

 

Aus dem Haushalt 2012 wird die EU für Libyen voraussichtlich 50 Millionen Euro verpflichten. Für humanitäre Hilfe im Land hatte die EU-Kommission bis Januar 2012 außerdem 70 Millionen Euro und für Zivilschutz 10,5 Millionen Euro aufgewendet; im August 2011 eröffnete sie ein Büro für humanitäre Hilfe in Tripolis.

 

Syrien

 

Bei Syrien demonstrierte die EU, dass sie ihre Förderung von der Kooperation des Partnerlandes abhängig macht ("less-for-less"-Konditionalität), und nahm bereits zugesagte Maßnahmen zurück.

 

Im Mai 2011 beschloss sie Sanktionen gegen Syrien; unterstützt wird jedoch weiterhin die Zivilgesellschaft (unter anderem Flüchtlingshilfe, 10 Millionen Euro).

 

Das in Planung befindliche Jahresaktionsprogramm 2012 soll dem Vernehmen nach etwa 63 Millionen Euro umfassen.

 

Unterstützung auch auf regionaler Ebene

 

Die ENPI-Förderung besteht neben den länderspezifischen Hilfen auch aus Unterstützung mit regionaler Perspektive. So fördert das Jahresaktionsprogramm ENPI Süd 2011 (rund 100 Millionen Euro; Teil II und III) Kooperationen mit den Partnerländern in Bereichen wie Seeverkehr (3 Millionen Euro), Informationsgesellschaft (3,8 Millionen Euro) oder interkultureller Austausch (7 Millionen Euro). Der Schwerpunkt der Regionalhilfe Süd lag auf Umwelt und Energieeffizienz (10 Millionen Euro). Energiekommissar Oettinger schlug kürzlich den Aufbau einer "partnerschaftlichen Energiestrategie" mit den nordafrikanischen Staaten vor.

 

Erhöht hat die EU insbesondere in Nordafrika auch ihre Mittel für Bildungsaustausch und Aufbau von Kapazitäten im Hochschulbereich, finanziert durch das Programm Tempus IV (Interregionales ENPI-Jahresaktionsprogramm 2011 Teil III, 57 Millionen Euro, davon 24 Millionen Euro für den Süden). Der Mobilitätsförderung von Studenten und Lehrkräften sowie dem Wissenstransfer dient auch Erasmus Mundus II (Interregionales Jahresaktionsprogramm 2012, 66 Millionen Euro, davon 40 Millionen Euro für den Süden). Für die Förderung der Zivilgesellschaft wurde 2011 außerdem eine aus ENPI finanzierte Sondermaßnahme beschlossen (22 Millionen Euro, davon 11 Million für den Süden).

 

Aus dem Interregionalen ENPI-Programm stellt die EU auch Zuschussfinanzierungen, technische Unterstützung und Risikokapital für die Nachbarschaftsinvestitionsfazilität (NIF) bereit. Die NIF dient dazu, Initialzündungen für große Investitionsvorhaben in der südlichen und östlichen Partnerschaft zu geben (700 Millionen Euro 2007 bis 2013); die konkreten Projekte führen europäische Förderbanken wie KfW, EIB oder EBWE durch und erhalten dafür Zuschüsse.

 

Die im Jahr 2011 zugesagten NIF-Förderprojekte für den Maghreb konzentrieren sich auf Transport, Energie, Umwelt, Wasser, Aufwertung von Wohnraum sowie Entwicklung des Privatsektors. Für die Investitionsfazilität Europa-Mittelmeer (FEMIP) sieht Teil I des ENPI-Regionalprogramms Süd 2011 rund 32 Millionen Euro für 2011 vor. Das ENPI-Regionalprogramm Süd für 2012 wird der Planung zufolge mit etwa 106 Millionen Euro unter anderem Umweltschutz, Privatsektorentwicklung und FEMIP unterstützen.

 

Freihandel als Ziel

 

Eine wichtige Rolle spielt auch die Integration der südlichen Partner in den EU-Wirtschaftsraum. Im Dezember 2011 erhielt die EU ein Mandat zur Einleitung von Verhandlungen über die Schaffung tiefgreifender und umfassender Freihandelsabkommen mit Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien. Diese berühren nicht nur den Abbau von tarifären Handelshemmnissen, sondern zielen auf die Angleichung von Rechtsvorschriften in allen handelsrelevanten Bereichen ab. Hierzu zählen Handelserleichterungen, technische Handelshemmnisse, Investitionsschutz, Wettbewerbspolitik, öffentliches Beschaffungswesen sowie tier- und pflanzengesundheitliche Maßnahmen. Ziele sind darüber hinaus ein besserer Marktzugang, eine Stärkung des Investitionsklimas, die Unterstützung ökonomischer Reformen sowie letztlich die Schaffung einer regionalen Freihandelszone.

 

Des Weiteren profitieren die EU-Nachbarn auch von thematisch ausgerichteten EU-Förderinstrumenten. So werden aus dem Programm "In Menschen investieren" Projekte zur Verbesserung des Lebensstandards benachteiligter Bevölkerungsgruppen unter anderem in Nordafrika und Syrien finanziert (Jahresaktionsprogramm 2011, 30 Millionen Euro, davon 16,5 Millionen Euro für den Süden).

 

Die Mittel aus dem Instrument "Nichtstaatliche Akteure und lokale Behörden im Entwicklungsprozess" konzentrieren sich auf den Aufbau von Kapazitäten zur Politikgestaltung und für zivilgesellschaftliches Engagement (2011 unter anderem für Ägypten 1 Million Euro, für Tunesien 2,5 Millionen Euro).

 

Aus dem Programm "Umwelt und nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen einschließlich Energie" werden unter anderem 1,5 Millionen Euro zur Anbindung Marokkos und Ägyptens an die Internationale Energieagentur finanziert.

 

Außerdem unterstützt die EU die arabischen Staaten aus weiteren thematischen Programmen mit umfangreichen makroökonomischen Finanzhilfen (Darlehen und Zuschüsse) sowie mit humanitärer Hilfe und Menschenrechtsförderung.


Quelle: Germany Trade and Invest, 16.03.2012