China: Kritik am Bildungssystem erregt Aufsehen

Nach einer bewegenden Rede gegen das prüfungsorientierte Bildungssystem in China steht ein Teenager aus der ostchinesischen Provinz Jiangsu plötzlich landesweit im Rampenlicht.

 

Die Rede, die eine heiße Diskussion in ganz China ausgelöst hat, hatte der Schüler am 9. April gehalten, als Schüler und Lehrer des Huilong-Gymnasiums in der Stadt Qidong sich zu einer wöchentlich stattfindenden Zeremonie zum Hissen der Flagge versammelten. Ein Jugendlicher war ausgewählt worden, vor dem 3.000 Personen starken Publikum eine Rede zu halten.

 

Der Redner, Jiang Chengbo aus der Oberstufe, ging vors Mikrofon und begann: "Statistiken belegen, dass chinesische Schüler weltweit in den Bereichen Rechnen und Kreativität ganz unten liegen. [...] "Einige von uns leben in Neid", so der Schüler weiter. "Sie sind neidisch auf diejenigen, die bei Prüfungen besser abschneiden. Einige von uns leben in Einsamkeit. Sie lernen so viel, dass sie keine Zeit haben, Freunde zu finden. [...] Wir können die Liebe unserer Eltern nicht spüren, denn sie sind entweder auf der Arbeit oder bringen uns dazu, mehr für die Prüfungen zu lernen... Wir können den Respekt unserer Lehrer nicht spüren, denn sie zwingen uns nur zum Lernen für ihre Einschreiberaten [...]."

 

Jiang's Rede war eine Riesenüberraschung für die Schule, denn er hatte die Rede, die von seinem Lehrer eingesehen worden war, einfach durch eine andere ausgetauscht. Die neue war rebellisch, potenziell angreifend für die Schulbehörden.

 

Andererseits erhielt die Rede großen Beifall von Schülern und Internetnutzern, und traf einen Nerv bei dem viel diskutierten Problem, ob chinesische Schüler zu viel Zeit für Prüfungsvorbereitungen zubringen müssen. Ein Mitschüler von Jiang, der anonym bleiben wollte, meint, das Schulleben sei freudlos, und die Schüler könnten keine ganzheitliche Entwicklung durchmachen, denn "Noten sind alles".

 

Yu Han, Oberstufenschüler aus Nanjing, meint: "Auch wenn Jiang's Worte ein wenig übertrieben sind, unterdrückt das prüfungsorientierte Bildungssystem in starkem Maße die Natur der Schüler."

 

"Jiang's Mut, zu sagen, was er denkt, ist bewundernswert. Allerdings bin ich nicht so zuversichtlich in die Bildung, und die Bildungsreform hat noch einen langen Weg vor sich", so "Benliuweizhi" auf der populären Micro-Blogging-Seite Sina Weibo.

 

Die meisten chinesischen Schüler müssen ein enormes Lernpensum bewältigen. Sie lernen an Wochenetagen bis spät abends, und haben dazu noch Extra-Kurse am Wochenende und in den Ferien.

 

Eine vom Chinesischen Forschungszentrum über Kinder und Jugendliche durchgeführte Erhebung zeigt, dass 2010 rund 80 Prozent der Grund- und Mittelstufenschüler nicht genügend Pausen haben und durchschnittlich nur acht Stunden schlafen, selbst an Wochenenden.

 

In Reaktion auf Kritik gegen das Bildungssystem hat die chinesische Regierung im Juli 2010 einen nationalen Bildungsplan für 2010 bis 2020 erarbeitet, in dem versprochen wird, ein System aufzubauen, bei dem das Lernpensum kontrolliert wird und der Druck auf Grund- und Mittelstufenschüler gelindert wird.

 

Yin Fei, Professor der Nanjing Normal University, meint, Jiang's Rede reflektiere zu einem gewissen Grad bereits eine Verbesserung in dieser Hinsicht.

 

Chinesische Schüler würden eher mit dem Druck, der auf ihnen lastet, hinterm Berg halten, doch mittlerweile trauten sich mehr von ihnen, ihre Unzufriedenheit auszudrücken, was zeige, dass ihnen mehr Freiheit in einem Bildungsumfeld gegeben werde, das immer toleranter werde, so Yin. Um den Druck auf Schüler zu lindern, müsse die chinesische Regierung allerdings das derzeitige, auf Einschreiberaten basierende System ändern, so er.


Quelle: Internetportal german.china.org.cn, 17.04.2012