China und Deutschland: voneinander lernen

Das deutsche System der beruflichen Bildung genießt in der Volksrepublik China allerhöchste Reputation. Dieses gilt in erster Linie für das Duale Ausbildungssystem. Dennoch sind schon viele Versuche, das Duale Ausbildungssystem direkt und unverändert oder mit verschiedenen Anpassungen zu übernehmen, ohne durchschlagenden Erfolg geblieben.

 

Der entscheidende Punkt ist dabei die Weigerung der Betriebe, das nachrückende Personal in der Produktion oder der Verwaltung einzusetzen. Man scheut ganz konsequent die damit verbundenen Kosten. Die Sorge, dass ein auf diese Weise herausragend gebildeter Mitarbeiter das Unternehmen verlässt, hat bis jetzt noch jedes weitergehende Engagement der Unternehmen in der Ausbildung verhindert.

 

Prof. Dr. Volker Bank vom Institut für Pädagogik der Technischen Universität (TU)Chemnitz war jetzt bei einer Vortragsreise durch das südliche China als Experte für berufliche Bildung unterwegs.

 

Bei der Vortragsreise, die ihn in die neue Volkswagenstadt Ningbo sowie in die Hauptstädte der Provinzen Jianxi und Kanton, Nanchang und Guangzhou, führte, war Prof. Dr. Volker Bank als Inhaber der Professur für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der TU Chemnitz ein gefragter Referent. Als ausgewiesener Experte für die berufliche Bildung wurden seine Vorträge, die neue Ideen zur Didaktik des Lernens in Firmen und in Schulen zum Leitthema hatten, mit großem Interesse gehört.

 

"Das Problem in China ist durchweg immer dasselbe: Die berufliche Bildung hat ein geringeres Sozialprestige als das in Deutschland der Fall ist", berichtet Bank. "Vor allem aber liegt der Gordische Knoten in der Forderung der Unternehmen, 'fertige' hochqualifizierte Arbeitskräfte von den Berufsschulen und Berufshochschulen angeliefert zu bekommen - das passt nicht zusammen."

 

So gesehen traf der Hinweis, dass das Duale System sich nicht in der äußerlichen Organisation von zwei Lernorten erschöpft, sondern dass es sich überhaupt erst in den Köpfen der Auszubildenden konstituiert, die Problemlage und das Anliegen der chinesischen Gastgeber.

 

"Es kommt auf das Lernen der Auszubildenden an, es kommt auf ihre Fähigkeit an, die praktischen Erfahrungen im Betrieb und die theoretischen Erkenntnisse aus der Schule zueinander in Bezug zu setzen. Das kann einem niemand abnehmen", betont Bank.

 

Es sei in China noch deutlicher als in Deutschland erkennbar, dass es bei der billigen, kurzfristig verwertbaren Qualifikation bleibt, wenn diese Verknüpfungen nicht zustande kommen, die einem langfristigen Bildungsanspruch entsprechen. So gesehen vermochte Bank seinen Kollegen aus den Berufshochschulen das zukünftig vielleicht entscheidende Argument an die Hand zu geben:

 

Bildung ist ökonomisch immer von Vorteil gegenüber der Qualifikation - auch und gerade in der beruflichen Bildung.

 

Nicht weniger zeigte sich Bank unterdessen seinerseits von seinen Gastgebern beeindruckt: "Ich habe hier Berufshochschulen besucht, die etwa so groß wie die TU Chemnitz sind, manche haben nicht weniger als 18.000 Studenten", berichtet der Vokationom und ergänzt: "Dabei gibt es an allen besuchten Orten gleich eine Vielzahl von derartigen Einrichtungen."

 

So hat beispielsweise die Berufshochschule Industrie in Kanton einen Campus in den grünen Hügeln über dem Perlflussdelta von 140 Hektar Größe - das ist größer als der Chemnitzer Stadtteil Kappellenberg oder das gesamte Yorckgebiet.

 

"Vor allem hat die berufliche Bildung in der Volksrepublik eine rasante und positive Entwicklung durchlaufen. Das berufliche Bildungssystem ist noch lange nicht auf der Höhe dessen, was in Deutschland immer noch Normalität aufweist", meint der Berufs- und Wirtschaftspädagoge, "doch sind die erst 1999 begründeten Berufshochschulen Einrichtungen, die sichtbar in der gewerblich-technischen Ausbildung hervorragende Ausbildungsergebnisse erzielen."

 

Hier könnten die Deutschen von den Chinesen lernen: "EU und OECD sind mit ihrer ausschließlichen Politik der Steigerung von Studentenquoten dabei, die gewachsene Kultur der Anerkennung beruflicher Bildung in Deutschland zu untergraben. Statt einer soliden Lehre wird zum Beispiel einfach Politik oder Pädagogik studiert, ohne dass man wüsste, zu welchen Tätigkeiten das führen soll. Mit der Einrichtung von Berufshochschulen, die wie Universitäten und Fachhochschulen dem tertiären Erziehungssektor zugerechnet werden, könnten wir in Deutschland der beruflichen Bildung wieder ihre traditionelle Bedeutung und der Wirtschaft die immer knapper werdenden Fachkräfte zurückgeben."

 

Die Reise wurde mit einem Keynotevortrag zur Ökonomie der beruflichen Bildung vor dem "Third International Vocational Education Forum Guangzhou" in Kanton abgeschlossen, zu der der Chemnitzer Berufsbildungsexperte von der dortigen Lehrerbildungseinrichtung für berufliche Bildung eingeladen worden war.

 

Begleitet wurde Professor Bank während des gesamten Aufenthalts in China von seinem Doktoranden Huojin Xiong, der die Übersetzung von Vorträgen und Kontaktgesprächen leistete. Er steht kurz vor dem Abschluss seiner Dissertation an der Philosophischen Fakultät der TU Chemnitz. Allerdings traf Bank auch an allen Orten auf viele Menschen mit guten Deutschkenntnissen.

 

"Das ist besonders in Hinblick auf einen Studentenaustausch interessant. Vor allem besteht ein ausgeprägtes Interesse an Fremdsprachenassistenten. Wer Deutsch als Fremdsprache lehren kann und selbst chinesische Sprachkenntnisse mitbringt, hat nach meiner Einschätzung eine Garantie für einen extrem bereichernden und bezahlten Aufenthalt in China", so Bank.


Quelle: Pressestelle Technische Universität Chemnitz, 31.05.2012