Indien: Qualifizierte Facharbeiter meist Fehlanzeige

An der landläufigen Meinung, dass Indien über ein großes Potenzial an qualifizierten Arbeitskräften verfügt, stimmt nur eines: Indien hat ein großes Potenzial an jungen Leuten. Ein kleiner Teil ist bestens qualifiziert, wie in der Informationstechnologie (IT)-Branche die selbst große Qualifizierungsanstrengungen unternimmt. Die große Mehrheit hingegen benötigt dringend Chancen zu einer qualifizierten Berufsausbildung, die ihnen reale Beschäftigungschancen eröffnet.

 

Hervorragende Kooperations- und Geschäftsmöglichkeiten für deutsche Berufsbildungsträger

 

  • Ein Bericht von Ulrich Meinecke, Sozialreferent der Deutschen Botschaft in Neu Delhi

 

Die indische Regierung hat dieses Manko erkannt. Fast kein Thema hat hierzulande eine solche Prominenz, wie die Berufsbildung. Bis 2022 - so die Pläne - sollen 500 Millionen Menschen beruflich qualifiziert werden, jung und alt.

 

Unabhängig davon, wie realistisch diese Zahl ist, sie verschafft jedenfalls das nötige Gefühl der Dringlichkeit: Weniger als 5 Prozent der Beschäftigten haben eine formale Ausbildung genossen, für 13 Millionen junge Leute, die jährlich ins arbeitsfähige Alter kommen stehen weniger als 4 Millionen Ausbildungsplätze zur Verfügung.

 

40 Prozent der Lehrerstellen an staatlichen Berufsschulen (sogenannte ITIs, Industrial Training Institutes) sind nicht besetzt. Im Übrigen haben die Berufsschullehrer nahezu keine berufspraktische Erfahrung. In den privaten Berufsschulen sieht es nicht besser aus, bei allen Ausnahmen, die es hier und da gibt. Zudem ist die Berufsausbildung rein außerbetrieblich organisiert – kein Wunder, dass die Unternehmen darüber klagen, dass die ITI Absolventen nicht wirklich beschäftigungsfähig sind.

 

Für die deutschen Berufsbildungsträger bieten sich – bei ausreichend langem Atem – hervorragende Kooperations- und Geschäftsmöglichkeiten. Die Berufsbildung ist seit 2008 kein Feld der Entwicklungszusammenarbeit mehr, und zwar auf Wunsch der indischen Regierung. Wohl aber ist Indien an der deutschen dualen Berufsbildung interessiert und ist bereit, für deutsche Unterstützung zu zahlen.

 

Deutsch-indische Zusammenarbeit in der Berufsbildung

 

2008 wurde eine deutsch-indische Arbeitsgruppe Berufsbildung eingesetzt. Sie wird auf indischer Seite vom Arbeitsministerium, auf deutscher vom Bildungsministerium geführt. Beim letzten Treffen im Oktober 2011 in München wurde eine umfassende "Roadmap" der Kooperation beschlossen.

 

Sie beinhaltet einerseits den umfassenden Austausch von Expertise: Zum Beispiel hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) indischen Partnern Ende März vorgestellt, wie wir in Deutschland unsere Berufsbilder, die National Occupation Standards, entwickeln.

 

Andererseits hat das Bundesbildungsministerium mit iMOVE (international Marketing of Vocational Education) eine Einrichtung gegründet, die deutsche Berufsbildungseinrichtungen darin unterstützt, außerhalb Deutschlands auf kommerzieller Basis aktiv zu werden. Diese Unterstützung erfolgt zum Beispiel durch Indien Informationstage - zuletzt im März 12 - oder die Organisation der Teilnahme deutscher Berufsbildungseinrichtungen an einschlägigen Veranstaltungen in Indien: Die nächste wird der FICCI Global Skill Summit Anfang September in Delhi sein, eine weitere die India International Trade Fair unter dem Motto "Skilling India" im November in Delhi (FICCI, Federation of Indian Chambers of Commerce).

 

Indische Akteure in der Berufsbildung

 

Insgesamt 17 indische Ministerien (von mehr als 30) sind mit Berufsbildung befasst. Die Federführung liegt beim Ministry of Labour & Employment. Die Hauptaktivitäten auf Regierungsseite lassen sich grob so beschreiben:

 

  • Das Ministry of Labour & Employment (MoL&E) konzentriert sich auf die Reform und die Steigerung der Anzahl der 9.400 ITIs (staatliche Berufsschulen) und ITCs (private Berufsschulen):
    Die lokale Wirtschaft soll künftig in die Aufsichtsorgane der ITIs einbezogen und treibende Kraft der Reform werden. Die Reform-ITIs erhalten erhebliche Summen, finanziert durch die Zentralregierung und die Weltbank. Nachhaltige positive Wirkungen sind allerdings bisher nur vereinzelt zu erkennen.
  • Das Ministry for Human Ressource Development (MHRD) startet die Einführung eines Berufsbildungsstrangs für 4 Berufe ab Klasse 9 in allgemeinbildenden Schulen. Der Berufsabschluss berechtigt zugleich zum Studium.
  • Die National Skill Development Corporation (NSDC, eine vom Finanzministerium ins Leben gerufene und mehrheitlich von den Industrieverbänden getragene Firma) finanziert (durch soft-loans) Berufsbildungs-Projekte zumeist außerbetrieblicher Berufsbildungsfirmen vor allem unter dem Aspekt der Skalierbarkeit – oftmals auf Kosten der Qualität. NSDC soll so die Qualifizierung von 150 der 500 Millionen Menschen ermöglichen.
  • Das Ministry for Rural Development (MRD) stellt seinerseits erhebliche Geldmittel zur Verfügung, um die ländliche Jugend in 3-monatigen MES (Modular Employment Skills)-Maßnahmen ein wenig zu qualifizieren.

 

Unter Führung der NSDC aber auch einiger Unternehmensverbände werden nach und nach für 22 Branchen Sector Skill Councils (SSC) gegründet, die unter Führung der Industrie für die jeweilige Branche Standards der Ausbildung, der Zertifizierung und Akkreditierung entwickeln sollen. Auch wenn SSCs eher angelsächsisch klingen, kommen sie in ihrer Aufgabenstellung denen der deutschen Kammern sehr nahe.

 

Indien fehlt duale Ausbildungstradition

 

Insgesamt krankt der Prozess noch daran, dass es hier keine duale Ausbildungstradition gibt und zu oft in den Kategorien außerbetrieblicher Berufsbildungseinrichtungen gedacht wird – immerhin bisweilen um Praktika ergänzt.

 

In Deutschland hingegen ist die duale Ausbildung allgemein akzeptiert und kennt nur Gewinner: Für den Staat ist sie kostengünstig, da er lediglich 2 Tage Berufsschule pro Woche finanzieren muss. Für die Wirtschaft, die starken die Einfluss auf die Inhalte hat, die selbst gut qualifizierte Leute ausbildet und einen Return of Invest (ROI) von durchschnittlich 80 Prozent erzielt, da die Auszubildenden während der Ausbildung immer produktiver werden. Für die Auszubildenden, die gut ausgebildet werden, anschließend alle Chancen auf einen guten Job haben und sie erhalten tarifierte Ausbildungsvergütungen. Das duale System ist ein regelrechtes win-win-win-Modell.

 

In Indien genügt als Anreiz für innerbetriebliche Ausbildung ein ROI von nur 80 Prozent nicht. Vermutlich wären 120 Prozent eine gute Größe, damit die Industrie nicht lediglich die Demand-Seite für gut ausgebildete Arbeiter darstellt, sondern selbst zur Supply-Seite wird, über den eigenen Bedarf hinaus. Immerhin sollen künftig Kosten für innerbetriebliche Ausbildung im Manufacturing Sektor steuerlich zu 150 Prozent anrechenbar sein – ein Schritt in die richtige Richtung.

 

Konkrete Chancen für deutsche Bildungseinrichtungen

 

In diesem Umfeld sind verschiedenste Kooperationen möglich. Deutsche Berufsbildungseinrichtungen haben die Chance:

 

  • Kompetenzpartner für die im Aufbau befindlichen Sektor Skill Councils zu werden;
  • indische Betriebe darin zu unterstützen, ihre betriebliche Aus- und Fortbildung aufzubauen oder zu modernisieren;
  • indische Bildungseinrichtungen in ihrem Modernisierungsprozess zu begleiten;
  • im Bereich der Ausbildung von Ausbildern, betrieblichen wie schulischen, Pionierarbeit zu leisten und "state of the art" Train-the-Trainer Institute zu gründen.

 

Pioniere deutsch-indischer Berufsbildungskooperationen

 

Einige Pioniere deutsch-indischer Berufsbildungskooperation existieren schon.

 

  • Das älteste ist das GTTI-Institut im südindischen Coimbatore. Hier werden Werkzeugmacher und Mechatroniker ausgebildet, mit abschließendem Zertifikat einer deutschen Kammer. 
  • Das Indo-German Training Center bildet in vier Städten im Bereich Business Administration aus.
  • Die Handwerkskammer Rhein/Main kooperiert mit der indischen IL&FS (Infrastructure Leasing & Financial Services) bei der Errichtung von 100 Berufsbildungseinrichtungen.
  • Die GIZ-IS (Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit-International Services) errichtet im Bundesstaat Karnataka zunächst zwei Berufsbildungszentren, voll durch die indische Regierung finanziert.
  • Namhafte deutsche Firmen betreiben, wenn auch vor allem für den eigenen Bedarf, hochklassige duale Berufsausbildung: Bosch, VW, Groz Beckert seien exemplarisch genannt.
  • Berufsbildungskooperationen in den Bereichen Einzelhandel und Altenpflege sind angelaufen, weitere befinden sich in der Pipeline.

 

Fazit

 

Jetzt ist der Zeitpunkt, in die Berufsbildungsreform in Indien einzusteigen. Diese Art von Business dient zudem einem wirklich guten Zweck: den vielen Jugendlichen in Indien eine berufliche Zukunft und einen Weg aus der Armut zu eröffnen.

 

Das Tor zum Mitmachen ist iMOVE.


Quelle: Asien Kurier 6/2012, asienkurier.com, 01.06.2012