Ägyptens Präsident vor großen Herausforderungen

Ägyptens neuer Präsident Mohammad Mursi steht vor harten Zeiten. Zu den immer wiederkehrenden Themen des Landes gehört unter anderem die Verbesserung des Bildungssystems.

 

Die Realisierung politischer Stabilität bleibt entscheidend für die Vermeidung fortgesetzter negativer Auswirkungen auf die Wirtschaft. Deren Verbesserung wird Zeit brauchen, egal wie ausgefeilt das Wirtschaftskonzept auch sein mag. Zielstrebigkeit mit Fähigkeit zum Kompromiss und Geduld dürften in den kommenden Monaten die Lösung sein.

 

Die Börse hat am ersten Tag nach Verkündung des Wahlergebnisses den neuen Präsidenten mit einer positiven Note empfangen. Je nach Index lag der Zuwachs zum Vorbörsentag in einer Größenordnung von 7 Prozent.

 

Darin spiegelt sich eine Erleichterung nach Wochen der Anspannung wider. Groß waren die Befürchtungen, dass insbesondere die polarisierende Stichwahl und die jüngste Selbststärkung des Militärs in weitere politische und gewaltsame Konfrontationen führen könnten. Viel wird nun davon abhängen, inwieweit Mursi in der Lage ist, eine handlungsfähige Regierung zu bilden.

 

Hierbei geht es auch nach Aussagen des Präsidenten um Lösungen, mit denen viele Seiten leben können. So gilt es, neben der eigenen Klientel diejenigen Bevölkerungskreise zu überzeugen, die zum fast gleichstarken Lager des unterlegenen Gegenkandidaten tendierten und vor allem auch die andere Hälfte der Bevölkerung, die aus welchen Gründen auch immer der Wahl ferngeblieben ist.

 

Nach Einbindung und Repräsentation rufen jedoch auch die Revolutionäre der ersten Stunde, säkulare wie liberale Kräfte. Da die legislative Macht nach Auflösung des Parlaments erneut beim Militärrat liegt, ergibt sich bis zur Verabschiedung einer Verfassung und Neuwahl der Volksvertretung ein besonders fragiles Gleichgewicht zwischen dem Militär und der jahrzehntelang verbotenen Moslembruderschaft, aus deren Mitte Mursi stammt.

 

Der von der jetzt zurücktretenden Interimsregierung El Ganzouri vorgelegte Haushalt sollte im Parlament diskutiert und von diesem auch verabschiedet werden.

 

Mursi muss nun dabei zusehen, wie der Militärrat stattdessen das Budget noch vor seinem Amtsantritt handhabt, damit es pünktlich zum Start des Fiskaljahres 2012/13 zum 1. Juli in Kraft gesetzt werden kann.

 

Während mögliche gesellschafts- und kulturpolitische Veränderungen den öffentlichen Diskurs seit den Umwälzungen vor eineinhalb Jahren bestimmt haben, wird die künftige Entwicklung der Wirtschaft über Erfolg oder Misserfolg der ersten zivilen Präsidentschaft des Landes ein entscheidendes Wort haben.

 

Moslembruderschaft und ihr politischer Arm, die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit FJP sowie ihr Präsidentschaftskandidat Mursi sind mit einem recht umfassenden Wirtschaftskonzept in die Wahlen gegangen. Wenn auch kein visionäres Gesamtkonzept mit strategischer Programmatik, so reichten die Vorstellungen doch deutlich über das hinaus, was die Konkurrenz zu bieten hatte.

 

Zunächst gilt der auf dem Klientelkapitalismus beruhende Ansatz des Vorgängerregimes als gescheitert und nicht fortsetzungsfähig. Noch ist die Anhängerschaft dieses alten Systems erheblich. Auch das Militär wird kaum von seiner wirtschaftlichen Macht abgeben oder diese auch nur transparent machen wollen.

 

Unter diesen Nebenbedingungen verkörpert Mursi einen pragmatischen Ansatz. Die Rolle der Marktwirtschaft und der Privatinitiative wird nicht infrage gestellt.

 

Auch sollen ausländische Direktinvestitionen angezogen werden mit starker Rolle für den privaten Sektor. Investitionshindernisse gilt es zu beseitigen und das Investitionsklima zu verbessern. Der Staat soll schlanker werden und Subventionen denen zugutekommen lassen, die ihrer wirklich bedürfen.

 

Die vom Vorgängerregime betriebene Privatisierungspolitik wird mit Vorbehalten bedacht, vor allem mit Blick auf strategische Industrien. Korruptionsbekämpfung und Wettbewerbspolitik sollen die Wirtschaft effizienter machen.

 

Zum Konzept gehört ferner die stärkere Nutzung islamischer Finanzierungsinstrumente auch mit Blick auf die Finanzierung von Entwicklungsprojekten. Islamische Sukuk-Bonds werden als Alternative zu konventionellen Staatsanleihen angedacht.

 

Quantitative Zielsetzungen betreffen Makrogrößen wie das Bruttoinlandsprodukt, die Inflation, Zahlungsbilanz und Währungsreserven, Arbeitslosigkeit und den Export. In der Finanzpolitik stehen Themen wie ein flexibles Einkommensteuersystem und Einkommensumverteilung mit Blick auf soziale Gerechtigkeit im Fokus.

 

Die Ausgaben für das Gesundheits- und Bildungswesen sollen deutlich erhöht werden. Öffentliche Schuld und Haushaltsdefizit sollen in den kommenden Jahren erheblich reduziert werden.

 

Angestrebt wird eine nachhaltige Entwicklung gemäß den Grundsätzen des islamischen Rechts. Hierzu gehört die Einbindung in ein Konzept der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs. Eine moderne und wettbewerbsfähige Wirtschaft soll auf der umfassenden Weiterentwicklung und Diversität der Wirtschaftssektoren entstehen.

 

Das als Al-Nahda (Renaissance-) Projekt bezeichnete gesellschaftliche Konzept soll die Verbindung der Grundwerte des Islam mit der Moderne herstellen, wobei Staat, Privatsektor und Zivilgesellschaft die drei Achsen der Interaktion bilden. Hierzu gehört auch die Integration von wirtschaftlicher, sozialer und humaner Entwicklung.

 

Klein- und mittelständische Unternehmen (KMU), die vier Fünftel der Firmen stellen, werden als Wachstums- und Beschäftigungslokomotive identifiziert. Ihnen gilt ein besonderes Augenmerk. Zinsgünstige Kredite und ein erleichterter Zugang zu Finanzierungen soll das Potenzial von KMU unterstützen.

 

Die Legalisierung und Einbindung des informellen Sektors, der sich auf mindestens ein Drittel der Wirtschaft beläuft, in den formellen gehört zu den weiteren Zielen. Erst wenn große Investoren die Wirtschaft wieder auf dem richtigen Pfad sehen, kommen sie wieder zurück, so die Überzeugung.

 

Eine Reihe von Großprojekten über die Gouvernorate hinweg sollen Investitionen anziehen und Beschäftigung schaffen. Hierzu gehören die Entwicklung der Nordwestküste, das Wiederaufbauprogramm für den Sinai und ein "Technology Valley"-Projekt in Ismailia. Weitere Großvorhaben stehen für den Sektor Transport und Logistik im Raum, so eine industrielle Logistikzone in East Port Said, ein Tunnel unter dem Suezkanal, Logistikzentren in Oberägypten und die Entwicklung des Rotmeer- und Bergbauhafens von Safaga.

 

Zu den immer wiederkehrenden Themen gehören die Verbesserung des Bildungssystems und des Gesundheitssektors, der Wasserver- und vor allem -entsorgung, ferner Verkehr und Landwirtschaft sowie Abfallentsorgung und Umweltschutz. Mursi steht auch für die drängendsten Alltagsprobleme, die zu lösen sind, so die Verfügbarkeit von Kraftstoff und seine Erschwinglichkeit sowie für qualitatives und preiswertes Brot.

 

Es ist kaum zu erwarten, dass die Wahl Mursis unmittelbar zu politischer und wirtschaftlicher Stabilität führt. Jedoch könnte ein Fundament für eine bessere Zukunft gelegt werden, wenn es gelingt, die diversen gesellschaftlichen Kräfte im Sinne des Großen und Ganzen positiv einzubinden.

 

Mursi wird in jedem Fall als derjenige dastehen, der für die gelösten wie ungelösten politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen verantwortlich zeichnet. Bislang galt die politische Unsicherheit als ursächlich für die unbefriedigende wirtschaftliche Situation. Künftig könnten die nach wie vor positiven Fundamentaldaten Ägyptens den Blick wieder stärker bestimmen.


Quelle: gtai online-news, 06.07.2012