Spaniens Regierung will freie Berufe deregulieren

Mehr Wettbewerb und Wirtschaftswachstum erwartet - Kritik seitens der Berufsverbände

Die spanische Regierung will mit einem neuen Gesetz den Bereich der freien Berufe öffnen. Im Grundsatz geht es dabei um Zugang und Ausübung. Durch eine Liberalisierung des überregulierten Sektors soll mehr Wettbewerb geschaffen werden, von dem die Regierung mittelfristig ein zusätzliches Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 0,5 bis 1,0 Prozent erwartet. Die jeweiligen Verbände sehen Nachteile für ihren Berufsstand und die Verbraucher.

Der spanische Ministerrat hat am 2.8.2013 dem Vorentwurf eines neuen Gesetzes (Anteproyecto de Ley de Colegios y Servicios profesionales) aus 2012 zugestimmt, das eine Öffnung der freien Berufe in Spanien sowie eine Reform der Berufsverbände vorsieht. Der Gesetzentwurf ist Teil des nationalen Reformprogramms (Programa Nacional de Reformas) der Regierung.

Wirtschaftsminister Luis de Guindos betonte, dass die von den Angehörigen der freien Berufe erbrachten Dienstleistungen Teil eines wichtigen Wirtschaftsbereichs seien. Er erwarte durch eine Liberalisierung mehr Wettbewerb und zusätzliche Wachstumsimpulse.

Obwohl in der Dienstleistungsbilanz bislang der Tourismussektor den bedeutendsten Posten darstellt, haben in den vergangenen Quartalen die nicht-touristischen Dienstleistungen, zu denen auch die freien Berufe gehören, ein Wachstum von rund 40 Prozent generiert. Zu den freien Berufen zählen beispielsweise Anwälte, Notare und Registerbeamte, ferner Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie im Gesundheitsbereich Ärzte, Zahnärzte, Physiotherapeuten und Apotheker. Außerdem gehören bestimmte technische Berufe wie Architekten und Ingenieure dazu.

Mittel- bis langfristig geht das Ministerium davon aus, dass durch eine Deregulierung des Sektors rund 7 Milliarden Euro erwirtschaftet sowie ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von zusätzlich 0,5 bis 1,0 Prozent erzielt werden könnte.

De Guindos hob hervor, dass die Maßnahmen zudem den Empfehlungen der Kommission der Europäischen Union (EU), des IWF (Internationaler Währungsfond) und der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Rechnung trügen. Der Wirtschaftsminister wies darauf hin, dass das aktuell gültige Gesetz, welches die freien Berufe und Berufsverbände regelt, aus dem 19. Jahrhundert stammt und einer dringenden Modernisierung bedürfe.

Nach Angaben des Ministeriums halten die freien Berufe einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 9 Prozent. An der Gesamtbeschäftigung macht dieser Anteil 6 Prozent aus. Rund 30 Prozent aller spanischen Akademiker arbeiten in diesen Bereichen. Eine Deregulierung, so die Sicht der Regierung, könnte vielen jungen Leuten nach dem Universitätsabschluss den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern.

Das Grundprinzip des neuen Gesetzes beruht auf freiem Berufszugang und -ausübung. Regelungen, die den Wettbewerb in diesem Sektor behindern und nicht durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sind, sollen geändert oder gestrichen werden. Dadurch soll das Dienstleistungsangebot für den Verbraucher nicht nur wettbewerbsfähiger und kostengünstiger werden, sondern auch an Qualität gewinnen.

Für die freien Berufe besteht in Spanien eine Pflichtmitgliedschaft in den Berufsverbänden. Das neue Gesetz will diese begrenzen und gleichzeitig die Möglichkeit freier Mitgliedschaften etablieren. Ferner ist der Zugang zu freien Berufen in Spanien wie auch in anderen Ländern der EU mit Beschränkungen verknüpft, die insbesondere bestimmte Qualitätsanforderungen an die Ausbildung sicherstellen sollen. Diese können in berufsspezifischen Prüfungen, Mindestausbildungszeiten oder besonderen Anforderungen an die Arbeitserfahrung bestehen. Dadurch soll die Qualität der erbrachten Dienstleistungen sichergestellt werden.

Nach Ansicht der Regierung besteht derzeit jedoch eine übermäßige und intransparente Reglementierung in diesem Sektor in Spanien. Mit dem neuen Gesetz soll ein einheitlicher gesetzlicher Rahmen für die freien Berufe geschaffen werden, der das komplizierte und regional uneinheitliche Regelwerk entschlackt, vereinfacht und systematisiert.

Im Architekturbereich ist beispielsweise die Projektierung und der Bau von Wohngebäuden, Sakralbauten und Bildungsstätten denjenigen Architekten vorbehalten, die auf die jeweilige Bauart spezialisiert sind. Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes soll dieser Vorbehalt fallen. Künftig soll jeder Architekt mit Fachkompetenz für Gebäudebau Projekte unabhängig von der Gebäudeart ausführen dürfen.

Auch der spanische Apothekenmarkt soll dereguliert werden. Unter anderem soll der bislang geltende Bestandsschutz für inhabergeführte Apotheken entfallen. Im Rechtswesen soll künftig ein Anwalt auch als Prozessbevollmächtigter (procurador) tätig werden können. Auch soll die staatlich festgelegte Gebührenordnung abgeschafft werden, so dass mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes Prozessbevollmächtigte ihre Honorare mit den Mandanten frei verhandeln können.

Von Seiten der Verbände hagelt es Kritik. Die Qualität der Dienstleistungen werde sich nach ihrer Ansicht verschlechtern und Verbraucher würden verunsichert. Apothekenverbände sehen die Gefahr, dass nach Inkrafttreten des Gesetzes den großen internationalen Ketten Tür und Tor geöffnet würde. Auch namhafte spanische Architekten haben sich gegen die Vorhaben der Regierung ausgesprochen. Ein Industrie- oder Straßenbauingenieur kenne sich zwar in seinem Fachgebiet aus, könne aber keine Wohnhäuser bauen. Die Architekten verwiesen auf Deutschland, Österreich und die Schweiz, wo es auch multidisziplinäre Fachrichtungen in dieser Sparte gäbe.

Ein Komitee zur Reform der freien Berufe soll eingerichtet werden, das Regeln und Vorschriften auf Verhältnismäßigkeit, Gegenstand eines allgemeinen Interesses und den Grundsatz der Nichtdiskriminierung hin überprüft.

Die Koordination obliegt dem Wirtschaftsministerium, dem Ministerium für Bildung, dem Amt für Qualitätssicherung und Akkreditierung und der spanischen Wettbewerbsbehörde.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, 22.08.2013