Nachhilfelehrer sind Stars in Hongkong

Sie versprechen den Schülern Bestnoten und verdienen Millionen: In Hongkong sind Nachhilfelehrer zu Stars geworden. Denn mit Nachhilfestunden ist viel Geld zu verdienen, weil verzweifelte Eltern versuchen, ihren Kindern vor den harten Aufnahmeprüfungen für die Universitäten einen Vorteil zu verschaffen.

Zu Beginn des neuen Schuljahres in Hongkong ließ der Nachhilfelehrer Tony Chow Plakate mit seinem Gesicht auf die Doppeldeckerbusse der Stadt kleben. Der 30-Jährige unterrichtet englische Grammatik und hat tausende Schüler, die an seinen Förderstunden teilnehmen oder Videos von ihm anschauen.

Chow ist eine Berühmtheit in Hongkong, der Stadt, in der mit Nachhilfestunden viel Geld zu verdienen ist, weil verzweifelte Eltern versuchen, ihren Kindern vor den harten Aufnahmeprüfungen für die Universitäten einen Vorteil zu verschaffen.

Der gnadenlose Wettbewerb schlägt sich in der jüngsten Pisa-Studie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) nieder: Kinder und Jugendliche aus Hongkong, Shanghai, Singapur, Südkorea und Japan dominieren die Listen.

 

1000 Nachhilfeinstitute in Hongkong

 

In den ostasiatischen Gesellschaften gehören Nachhilfeinstitute seit langem zum Schüleralltag. In Hongkong haben diese Einrichtungen in den vergangenen Jahren immer mehr Eltern als Kunden gewonnen. Um die 1000 davon gibt es inzwischen und sie wetteifern mit allen Mitteln um die Schüler. Einige stecken ihre Lehrer in Miniröcke oder Lederjacken, um sie wie Popstars aussehen zu lassen. Werbeanzeigen für die "Könige der Nachhilfe" sind in der ganzen Stadt zu sehen, in den Einkaufszentren und auf den Titelseiten der Zeitungen.

Viele versprechen den Schülern, sie könnten ihnen zu glänzenden Noten in den Aufnahmeprüfungen verhelfen. "Im Grunde ist der Test doch ein Spiel", erklärt Chow. "In einem Spiel gibt es Gewinner und Verlierer. Sie müssen die Tricks kennen, um das Spiel zu gewinnen. Wir zeigen ihnen die Abkürzungen, den schnellsten Weg zu den Antworten." Chow und viele Kollegen sichern zum Beispiel zu, den Schülern Schlüsselwörter beizubringen, für die Prüfer in den Tests Punkte vergeben.

Chow arbeitet für die Nachhilfe-Kette Modern Education, ist aber nicht fest angestellt. Die Muttergesellschaft von Modern Education gab eine Studie in Auftrag, nach der allein in Hongkong jährlich umgerechnet 190 Millionen Euro mit Nachhilfe umgesetzt werden.

 

Vermarktung im Stile eines Künstlers

 

Einige der Lehrer sind mit ihren Kursen reich geworden. Einer der bekanntesten, Richard Eng, hat ein Faible für Lamborghinis und Louis Vuitton. Er war es, der um das Jahr 1996 die Veränderungen anstieß, als er begann, sich wie einen Künstler zu vermarkten.

Chow möchte über sein Gehalt nicht sprechen, aber die besten Nachhilfelehrer können ein Vielfaches der Lehrer an öffentlichen Schulen verdienen. Der bestbezahlte Lehrer bei Modern Education verdient pro Jahr mindestens 16 Millionen Hongkong Dollar (1,5 Millionen Euro), wie aus der Bilanz der Muttergesellschaft hervorgeht. Darin enthalten sind wahrscheinlich nicht die Marketingkosten, die sich die Lehrer mit dem Unternehmen teilen.

Angesichts dieser Popstars, die ihnen nach der Schule gegenüberstehen, kommen einigen Schülern ihre regulären Lehrer schon langweilig vor. Sie sei sich nicht sicher, ob ihre Lehrer die gleichen Qualifikationen wie Chow hätten, sagt die 16 Jahre alte Amy Wong, die gemeinsam mit etwa 60 anderen in einem Klassenraum von Chow unterrichtet wird.

 

Nachhilfe via Video-Aufzeichnung

 

Manche Schüler nehmen an der Stunde getrennt durch eine Glaswand teil. Den Vorschriften zufolge dürfen nur 45 Schüler in einem Klassenzimmer sitzen, und so ziehen die Nachhilfe-Institute gerne Glaswände ein, um den Raum zu teilen. Andere sind nicht live dabei, sondern sehen in einer der vielen Filialen die Lektion auf einer Leinwand.

Von Chow sehen sie dabei nur seine Hand, die mit einem Stift englische Redewendungen aufschreibt. Er spricht dabei ausschließlich Kantonesisch, Fragen der Schüler sind nicht erwünscht. Modern Education berechnet für vier einstündige Lektionen von Chow pro Monat umgerechnet bis zu 54 Euro.

 

"Fast wie Fast Food"

 

In Hongkong nehmen fast drei Viertel aller Schüler an solchen Nachhilfestunden nach dem eigentlichen Unterricht am Abend teil. Angesichts dieser Quote befürchten andere, die nicht hingehen, einen Nachteil. Das ist natürlich ganz im Sinne der Nachhilfe-Institute, die so noch mehr Kunden gewinnen können.

Der Druck auf die Schüler hat zugenommen, seit die Bildungsbehörden 2012 die Zahl der Aufnahmeprüfungen für die Universitäten von zwei auf nur noch eine senkte. Damit sollten eigentlich die Schüler entlastet werden. Doch das Gegenteil trat ein, weil sich in dieser einen Prüfung nun alles entscheidet.

Der Direktor des Instituts für Vergleichende Bildungsforschung, Mark Bray, erklärt, die Institute setzten auf Technologie, um die Kosten für die Kunden zu senken. Dabei bedeute dies aber nicht, dass die Schüler genauso viel lernten wie im direkten Kontakt mit einem Lehrer. "Das ist wie mit dem Fast Food", sagt Bray. "Man kann seinen Magen füllen, aber die Qualität ist vielleicht eine andere."


Quelle: Basler Zeitung, bazonline.ch, 13.12.2013