Fachkräftemangel in Mittel- und Osteuropa

Der zunehmende Arbeitskräftemangel wird zu einer immer größeren Herausforderung für die Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas. Denn nicht nur Manager und Ingenieure sind Mangelware, sondern auch Spezialisten auf mittleren Ebenen.



Ein direkter Zusammenhang zwischen Fachkräftemangel und der Verlangsamung des Wachstums in den neuen EU-Staaten wird immer deutlicher. Dies bestätigt zum Beispiel auch das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Osteuropaexperte Peter Havlik sagt, der massive Facharbeitermangel wirke sich als starke Wachstumsbremse für die neuen EU-Mitglieder aus.



Generell sind in Mittel- und Osteuropa Bauarbeiter, Architekten oder Ingenieure sehr gefragt. In Polen und Tschechien suchen ausländische Firmen vor allem Ingenieure, Maschinenbedienungspersonal und Informatiker. In Bulgarien fehlen besonders Spezialisten für Informationstechnologien, aber auch Kellner und Köche. Dem Arbeitsmarkt in der Slowakei und in Ungarn mangelt es vordringlich an Elektroingenieuren, Maschinenbauern und Autokonstrukteuren.

Russlands Regierung meldet 1,4 Millionen unbesetzte Stellen, davon allein 170.000 in Moskau. In der Hauptstadt werden vor allem Buchhalter, Programmierer, Verkaufs- und Office-Manager sowie Kundenbetreuer gesucht.

Schwierigkeiten bei der Personalsuche haben die Unternehmen aber auch in Sankt Petersburg oder in neuen Investitionsschwerpunkten wie rund um die VW-Ansiedlung in Kaluga. Besonders stark ausgeprägt ist der Mangel zudem in Sibirien und Südrussland.

Bauwirtschaft am stärksten betroffen

Vor allem das Bauhandwerk ist betroffen. Elektriker, Schweißer, Maurer, Verputzer, Fliesenleger, Zimmerer, Dachdecker, Klempner und Innenausstatter, sie alle sind am Arbeitsmarkt extrem rar geworden. Nach Einschätzung von Vertretern der Bauwirtschaft fehlen in ihrer Branche allein in Polen momentan bis zu 300.000 Arbeitskräfte.

Der Fachkräftemangel führt bei unseren östlichen Nachbarn so weit, dass sie, wie im Fall Polens, nicht alle verfügbaren EU-Fördergelder für die Modernisierung der Straßen nutzen können, weil zu wenig Bauarbeiter verfügbar sind.

Banken und Versicherungen als auch das produzierende Gewerbe klagen über fehlende Informationstechnologie- und Finanzfachleute auf dem Arbeitsmarkt. Häufig müssen sie diese Fachkräfte daher über Personalberater direkt in anderen Unternehmen suchen. Auch Industriekaufleute sowie Rechtsanwalts- und Notargehilfen sind schwer zu finden.

Die Kontraktion der Arbeitsmärkte in der Region geht meist mit einem starken Rückgang der Arbeitslosenquote einher. Doch selbst in Ländern mit noch relativ hoher Arbeitslosigkeit wie in Polen oder der Slowakei bleiben viele Stellen besonders in den Hauptstädten und wirtschaftlichen Zentren offen. Dies kann zum Teil mit der geringen regionalen Mobilität erklärt werden, die wegen der im Vergleich zu den Einkommen hohen Mieten und Benzinpreise nicht sehr ausgeprägt ist.

Arbeitskräfte aus Kasachstan, Vietnam und China

Einen Teil der Nachfrage nach Arbeitskräften können die boomenden Wirtschaften Mittel- und Osteuropas durch Zuwanderung befriedigen - insbesondere, wenn es sich um einfachere Tätigkeiten handelt. So schätzt der russische Föderale Migrationsdienst, dass derzeit fünf bis sieben Millionen Immigranten in Russland leben. Sie kommen vor allem aus den GUS-Staaten in das Riesenreich.

In Tschechien arbeiten laut Schätzungen 270.000 Ausländer - vor allem aus der Slowakei, der Ukraine, Polen und Vietnam. Rumänien holt zum Beispiel Frauen aus China zur Arbeit in der Textilindustrie.

Lohnwachstum gewinnt an Dynamik

Die Zuwanderung reicht jedoch bisher nicht aus, ein befriedigendes Angebot an Arbeitskräften zu schaffen. In Folge der guten Konjunktur ziehen die Löhne seit Jahren stark an. Seit 2000 haben sich die Lohnstückkosten in Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik um rund 50 Prozent erhöht. Die Lohnstückkosten erreichen damit immer noch erst ein Drittel des westeuropäischen Niveaus, am niedrigsten sind sie in Bulgarien mit einem Fünftel.

Der Abstand zu Westeuropa schrumpft jedoch mit immer größerer Dynamik. Während in Deutschland die Arbeitskosten je Stunde 2007 um 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr in der Privatwirtschaft kaum stiegen, nahm diese Entwicklung beispielsweise in Lettland mit rund 30 Prozent, in der Slowakei mit 19 Prozent, in Ungarn mit 15 Prozent und in Tschechien mit immerhin noch 10 Prozent kräftig Fahrt auf.

Problematisch an dem kräftigen Lohnzuwachs ist vor allem, dass die Lohnsteigerungen in vielen Fällen über dem Produktivitätswachstum liegen. So sind die Bruttolöhne in Polen 2007 im Durchschnitt nominal um über 9 Prozent gestiegen. Gleichzeitig nimmt die Arbeitsproduktivität nur etwa um 4 bis 5 Prozent zu. Löhne und Gehälter wuchsen in Russland in den vergangenen Jahren jährlich um real mehr als 10 Prozent, die Arbeitsproduktivität hat nur um jeweils 5 bis 6 Prozent zugelegt.

Lohn-Preis-Spirale dreht sich

Dabei könnte der bereits kräftige Lohnanstieg der vergangenen Jahre durch die deutlich angezogene Inflation in einigen Ländern noch mal an Fahrt gewinnen. Ein Drehen der Lohn-Preis-Spirale droht somit in Ländern wie zum Beispiel Rumänien, Russland und der Ukraine, wo die Löhne wesentlich schneller steigen als die Inflation.

Zusätzlich verteuert haben sich die Lohnkosten im Vergleich mit dem Euroraum durch die Aufwertung der meisten Währungen in Osteuropa gegenüber dem Euro. Der Außenwert des Zloty etwa hat gegenüber dem Euro 2007 um mehr als 6 Prozent und bereits im 1. Halbjahr 2008 erneut um über 6 Prozent zugelegt.

Der Anstieg der lokalen Währungen gegenüber Euro und Dollar wirkte aber auch inflationsdämpfend. Die Aufwertungstendenz dürfte jedoch nicht überall von Dauer sein. In Russland zum Beispiel gab der Kurs des Rubels im August und September 2008 im Rahmen der internationalen Finanzkrise und des Georgienkrieges stark nach.

Mitarbeiter finden und halten als Kunst

Die Bereitschaft, den Arbeitsplatz zu wechseln, ist bei Beschäftigten in Mittel- und Osteuropa relativ stark ausgeprägt, selbst wenn sich an anderer Wirkungsstätte ein nur vermeintlich unerheblicher Betrag mehr verdienen lässt.

In diesem Umfeld Mitarbeiter zu finden und zu halten, entwickelt sich zur Kunst. Unternehmen heben sich gegenüber der Konkurrenz durch Schulungs- und Ausbildungsmöglichkeiten oder eine bessere Krankenversorgung ab. Krankenzusatzversicherungen sind dabei im Kommen.

Ein immer wichtigeres Instrument stellen zudem Prämien dar. Von dem dreizehnten Gehalt, wo üblich, wird offenbar allmählich zu einem leistungsabhängigen Prämien- und Zusatzleistungssystem übergegangen.

Auch bezahlte freie Tage zusätzlich zum Urlaubsanspruch motivieren und binden Mitarbeiter an das Unternehmen. Unter den Zusatzleistungen zählt die betriebliche Altersversorgung noch nicht zum Standard. Aber der zunehmende Wettbewerb um qualifizierte Arbeits- und Führungskräfte treibt hier die Entwicklung voran.

Firmenwagen für Geschäftsführer stellen immer öfter eine Selbstverständlichkeit dar, ebenso im Vertrieb. Firmeneigene Mobiltelefone und Notebooks gehören auf Führungsebene und bei herausragenden Arbeitskräften dazu. Bei großen Unternehmen spielen auch Betriebskindergärten eine Rolle.

Einige Firmen stellen ihrem Personal auch kostenlose Fahrten zum Arbeitsplatz zur Verfügung. So transportiert zum Beispiel der Lebensmittelkonzern Kraft Foods in Russland jeden Tag 400 Mitarbeiter mit Bussen aus dem gesamten Oblast zu seinem Werk bei Wladimir.

Essensbons oder eine subventionierte Kantine stehen bei Mitarbeitern in Osteuropa hoch im Kurs. Des Weiteren spendieren die begehrtesten Arbeitgeber Karten für Fitnessclubs oder Solarien, Eintrittskarten zu sportlichen und kulturellen Ereignissen.


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von Christian Overhoff


Quelle: bfai Online-News, Nummer 18 vom 30.09.2008