Inder wollen deutsches Ausbildungssystem kopieren

Die duale Berufsausbildung gilt als Erfolgsfaktor der deutschen Industrie. Bei Bosch in Bangalore wird sie bereits angewendet. Die landesweite Einführung des deutschen Systems ist im Gespräch.

Im indischen Bangalore wird auf deutsche Art ausgebildet – zumindest bei Bosch: 60 Azubis stellt das Bosch Vocational Centre jedes Jahr ein. Sie werden wie in Deutschland betriebsnah qualifiziert.

Als Bosch in den 50er-Jahren nach Indien ging, um Zündkerzen und Einspritzpumpen herzustellen, brauchte die Firma Fachkräfte. Aber in Indien findet die Ausbildung hauptsächlich theoretisch in Schulen statt – die Absolventen hatten nicht die praktische Erfahrung für die hoch spezialisierte technische Arbeit. So schuf Bosch sein eigenes Ausbildungszentrum.

Heute dient das Trainingscenter in Bangalore als Vorbild für die indische Wirtschaft. Kürzlich trafen sich dort 80 Wirtschafts- und Regierungsvertreter aus Deutschland und Indien sowie Bildungsexperten auf einer von der Bertelsmann-Stiftung organisierten Konferenz, um über die Einführung des dualen Systems in Indien zu beraten.

Eine neue Studie der Stiftung, in der 43 in Indien tätige Unternehmen befragt wurden, kommt zu dem Schluss, dass die meisten Firmen ein Problem mit fehlenden Kompetenzen ihrer Mitarbeiter haben – vor allem mit ihrer mangelnden Praxiserfahrung.

Derzeit haben nur etwas über zwei Prozent der indischen Arbeitnehmer eine technische Ausbildung, doch die Nachfrage aus der Wirtschaft steigt in dem rasant wachsenden Schwellenland. Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2022 ganze 500 Millionen Menschen besser auszubilden. Deutschland soll bei der Reform des Bildungssystems als Modell dienen.

Indien ist damit nicht allein: Seit Jahren klopfen immer mehr Länder in Deutschland an, die sich schlau machen wollen, wie das duale Berufsbildungssystem funktioniert. Die Bewältigung der Finanzkrise ohne allzu viele Jobverluste auch bei den Jugendlichen hat sich nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt herumgesprochen.

Das duale System wird bereits als "Exportschlager" gehandelt. Ursula von der Leyen reiste in den vergangenen zwei Jahren als Arbeitsministerin durch Europa und warb lächelnd für das Modell. Große deutsche Konzerne führen das System wie Bosch auf eigene Faust vermehrt ein – jüngst erst VW in seinem US-Werk in Chattanooga.

 

Offizielle Anfragen anderer Länder an Deutschland

 

Dazu multiplizieren sich die Anfragen in Deutschland von staatlicher Seite aus dem Ausland, wie etwa aus Indien. Die Nachfrage nach Beratung dürfte weiter steigen, glaubt Michael Wiechert, Leiter der erst im September geschaffenen Zentralstelle für internationale Berufsbildungskooperation, das beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) angesiedelt ist. Dort sind Bildungs- und Entwicklungsministerium sowie Sozialpartner und Industrie- und Handelskammern vertreten.

"Obwohl es uns erst ein paar Monate gibt und wir noch gar nicht an die Öffentlichkeit getreten sind, gab es rund zehn neue Anfragen. Darunter offizielle Regierungsanfragen aus Ecuador, den Philippinen, Thailand und Mexiko", sagt Wiechert. Neben sechs europäischen Staaten gibt es bereits bilaterale Arbeitsgruppen mit China, der Türkei, Indien, Russland und Südafrika.

Wiechert rechnet damit, dass die Nachfrage weiter steigt – aus Europa, aber auch weltweit. "Viele Länder haben ein Ausbildungssystem, das zu wenig Praxis bietet, damit die Absolventen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben", so Wiechert. In den Schwellenländern hätten die Wachstumsraten der vergangenen Jahre den Fachkräftemangel verschärft. "Deshalb interessieren sich immer mehr Länder für das duale Ausbildungssystem".

 

OECD hat deutsche Ausbildung gelobt

 

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) dürfte auch zum guten Ruf der dualen Ausbildung beigetragen haben: In einer Studie hat die Organisation das System erst im vergangenen Jahr sehr gelobt.

Der Übergang von der Schule ins Arbeitsleben verlaufe in Deutschland "bemerkenswert reibungslos", hieß es im Deutschlandbericht der Studie "Skills beyond School".

Über 90 Prozent der 15- bis 24-Jährigen hätten 2008 nach Abschluss der Schule eine Beschäftigung gefunden oder ihre Bildungslaufbahn fortsetzen können. Dies sei ein im internationalen Vergleich hoher Prozentsatz.

Der deutsche Staat hat aber selber ein handfestes Interesse daran, das duale System in der Welt zu verbreiten. Deswegen steht das Ziel wohl auch explizit im Koalitionsvertrag: "Wir kooperieren weltweit mit Partnerländern, die an dualer Ausbildung interessiert sind, bei Aufbau und Modernisierung von erfolgreichen Berufsbildungssystemen", haben SPD und die Unionsparteien vereinbart.

 

Deutsche Firmen brauchen auch im Ausland Fachkräfte

 

Im Fokus des Interesses steht dabei die Unterstützung der deutschen Wirtschaft, denn die deutschen Industrieunternehmen, die fast alle global tätig sind, brauchen auch vor Ort gute Fachkräfte. "Sie können viele Produkte weltweit nur verkaufen, wenn diese auch vor Ort produziert und gewartet werden können", sagt Wiechert. Manche Unternehmen müssten derzeit extra ihre Meister aus Deutschland auf andere Kontinente fliegen lassen, um die Produktion aufrecht erhalten zu können.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat wegen des steigenden Interesses der deutschen Unternehmen sogar eine eigene Abteilung "Bildungsberufsexport" geschaffen. Ein "Aktionsplan" von 2013 bis 2016 gibt vor, wie die Kammern – und vor allem die Auslandshandelskammern vorgehen sollen.

Die Mitgliedsunternehmen äußerten immer stärker den Wunsch, dass die Kammern einen stärkeren Beitrag leisten, um Fachkräfte im Ausland nach dem deutschen dualen System zu qualifizieren, heißt es in dem Aktionsplan. Die deutsche duale Berufsbildung genieße schließlich einen "vorzüglichen Ruf" als Instrument für die nachhaltige Fachkräftequalifizierung.

 

Politik fördert Export des deutschen Modells

 

Politisch gefördert wird der Export des Modells auch, weil er als lukrativer Markt für deutsche Bildungsanbieter gesehen wird. Am BIBB angesiedelt ist auch iMOVE, eine Organisation, die deutsche Anbieter der Berufsausbildung international vermarktet.

Wie realistisch es ist, das seit Jahrzehnten gewachsene deutsche System in anderen Kulturen und Wirtschaftsstrukturen einzuführen, ist fraglich. Fest steht, dass es kein einfaches Unterfangen ist. Es könne jedoch immer nur darum gehen, Elemente des Systems einzuführen, sagt Michael Wiechert. "Eine 1:1-Kopie halte ich für nicht möglich. Es muss an die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden."

Das geht auch aus einer umfassenden Studie über den bisherigen Transfer des dualen Systems hervor, die die Bertelsmann-Stiftung bei Dieter Euler, Bildungsforscher der Universität Sankt Gallen, in Auftrag gegeben hat. "Evaluationen von Transferprojekten dokumentieren zumeist eine geringe Nachhaltigkeit. Trotz vielfältiger Bemühungen von deutscher Seite bleibt das duale System auf wenige Staaten in Mitteleuropa begrenzt", so Euler.

 

An die jeweiligen Gegebenheiten anpassen

 

Es gebe keine "einfachen und schnellen Formen der Übertragbarkeit von Berufsausbildungssystemen". Konzepte und Strategien des Transfers können nur im Rahmen der "spezifischen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen" entwickelt werden.

In Indien besteht laut der Bertelsmann-Studie eine große Hürde darin, die Unternehmen dazu zu bewegen, sich an der Finanzierung der Ausbildung zu beteiligen. In Deutschland bezahlen die Unternehmen 80 Prozent der Ausbildungskosten – in Indien ist der Anteil verschwindend gering.

"Meist werden Pfründe verteidigt, und es gibt Widerstände", so Yorck Sievers, der beim DIHK für den Berufsbildungsexport zuständig ist. Wenn mehr im Betrieb ausgebildet würde, würden auch Berufsschullehrer ihren Job verlieren. Es müssten, so Sievers, "dicke Bretter gebohrt werden".


Quelle: Die Welt, 09.02.2014