Deutscher Exportschlager

Libysche Ingenieure und malaysische Mechatroniker kommen zum Lernen in die Bundesrepublik. Für Bildungsanbieter ist das ein Millionenmarkt.

Maghi Elborki ist Projektplaner für Libyens größte Erdölgesellschaft. Für die könnte sich bald einiges ändern – dank seiner Ausbildung in Deutschland. Mit zehn Landsleuten sitzt er an diesem Morgen in einem Schulungsraum in Berlin und schaut einem Ingenieur von der Universität Duisburg-Essen zu, wie er mit bunten Kabeln und Schaltern hantiert. Er projiziert Kurven in Pink, Orange und Blau an die Wand, die Stromfrequenzen zeigen. Mit Apparaten simuliert der Lehrer einen Windgenerator und seinen Nutzen für ein landesweites Stromnetz. Binnen Millisekunden könne die Windmühle zum Beispiel den Ausfall eines Kraftwerks ausgleichen.

Alternative Energien sind nützlich, auch für ein erdölreiches Land wie Libyen. Das ist eine Botschaft des zweiwöchigen Kurses, den die neun Männer und zwei Frauen aus dem nordafrikanischen Land besuchen. "Deutschland hat mir eine wunderbare Schulung beschert", schwärmt Elborki und überlegt bereits, wie sein neues Wissen seiner heimischen Arabian Gulf Oil Company helfen könnte. Man müsse darüber nachdenken, die Fördertechnik der Öl- und Gasfelder in der Wüste mit Solarenergie zu betreiben. Das sei doch viel effizienter, als das dort geförderte Öl erst zu verbrennen, um es in Strom zu verwandeln, den man von der Sonne quasi frei Haus geliefert bekomme.

Deutsche Ingenieurskunst und deutsches Handwerk sind gefragt in aller Welt – und damit auch deutsche Lehrmeister. Aus- und Weiterbildung "made in Germany" ist zum weltweiten Exportschlager geworden. Ausländische Fachkräfte reisen zu einer Zusatzausbildung nach Deutschland; deutsche Ausbilder bieten Kurse im Ausland an. Beides fällt unter den Begriff "Bildungsexport".

Berthold Breid wird die Pläne von Elborki gerne hören. Der 47-Jährige ist Gründer und Chef des Weiterbildungsanbieters Renewables Academy (Renac). Er hat sich zum Ziel gesetzt, das deutsche Wissen über erneuerbare Energien in die Welt zu tragen. Im vergangenen Jahr schulten er und sein Team knapp 1000 Fachleute von Algerien bis Indonesien – darunter Ministerialbeamte, Ingenieure, Finanzierer und Vertreter von Kraftwerken und Netzbetreibern. Etwa die Hälfte der Kurse war öffentlich finanziert, aus Töpfen des Bundeswirtschafts- oder Bundesumweltministeriums zum Beispiel. Die andere Hälfte zahlten die Interessenten und ihre Unternehmen privat.

Einer Umfrage unter Managern von Aus- und Weiterbildungsfirmen zufolge, dem "Trendbarometer 2012/2013", exportiert inzwischen fast jeder vierte deutsche Anbieter Bildungsleistungen. Im Jahr 2010 war es nur eine von zehn Firmen. Die im Auftrag der Bundesregierung befragten 100 Unternehmen, die bereits international tätig sind, repräsentieren ein Umsatzvolumen von 2,78 Milliarden Euro. Fast jeden fünften Euro nahmen sie bereits im Ausland ein – erwartete Tendenz: stark steigend. Wichtigster Zielmarkt der deutschen Bildungsexporteure ist bisher Asien. Dort sind 73 der 100 befragten Anbieter aktiv. Die Umfrage ist deshalb interessant, weil es bisher noch keine offizielle Statistik über die Aktivitäten der deutschen Aus- und Weiterbilder gibt. Die befragten Firmen sehen besonders in China und Indien weitere Wachstumschancen.

Das bestätigt auch der Verband Didacta, der mehr als 250 Firmen der Bildungswirtschaft vertritt. Auch für Thailand, Myanmar und Indonesien erwartet Didacta steigende Bildungsausgaben und daher neue Marktchancen, ebenso für Lateinamerika und das rohstoffreiche Kasachstan. In Russland dagegen gingen die Bildungsausgaben derzeit eher zurück. Auf vier internationalen Messen ist Didacta in den kommenden Monaten aktiv: in Saudi-Arabien, Dubai, Kasachstan und Indien. Ein Schwerpunkt wird auf allen vier Ständen die berufliche Bildung in Deutschland sein.

Die duale Ausbildung zeigt sich auch im "Trendbarometer" als wichtiger Türöffner für deutsche Bildungsanbieter im Ausland. Bei fast der Hälfte der befragten Anbieter wurden Inhalte und Lernziele nachgefragt, die sich an der deutschen dualen Ausbildung orientieren.

Wie beliebt diese inzwischen ist, erfuhr Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) jüngst bei einem Besuch in Katar. Auf dem "Welt-Tarifforum" berichtete Nahles, wie sie dem Emir das duale System vorstellte. "Und als ich fertig war, sagte der: Ja, das hätte ich gern. Bis November. Und was würde das kosten?" Nahles schüttelte den Kopf. "Nee, so einfach ist das nicht." Ein gutes Bildungssystem könne man eben nicht mal schnell im Paket kaufen.

Ernsthafte Interessenten allerdings gibt es viele. Nahles Vorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) reiste im vergangenen Jahr durch Europa und sagte Ländern wie Spanien, Griechenland und Italien Hilfen beim Aufbau einer beruflichen Ausbildung zu. Bereits im Jahr 2001 gründete das Bundesbildungsministerium zur Vermarktung von deutscher Aus- und Weiterbildung im Ausland die Initiative iMOVE.

Der Export von Ausbildungsbausteinen ist zudem seit Jahrzehnten Teil der deutschen Entwicklungshilfe. So hat zum Beispiel die Aachener Icon-Institute GmbH im Auftrag von Weltbank und EU bereits Trainings für über 100 Länder konzipiert. Neu im Portfolio von Icon ist seit 2013 der "Malaysian Meister" der Mechatronik. 18 solcher "Meister" hat Geschäftsführer Franz Dunkel gerade ins Arbeitsleben entlassen. Das Besondere in diesem Fall: Die Nachfrage kam von einem malaysischen Verband aus zwölf privaten Berufsbildungszentren. "Die kamen im Interesse der Industrie vor Ort auf uns zu", sagt Dunkel. "Da gibt es einen direkten Praxisbezug."

Sieben Monate bildeten die Aachener die 18 Malaysier aus – zuerst per Skype und E-Learning am Computer, dann mit deutschen Trainern vor Ort in Malaysia. Zum Schluss reiste die Gruppe für einen Monat nach Aachen. Dort bekam sie einen Einblick in die speicherprogrammierbare Steuerung. Sie regelt zum Beispiel die Frischluftzufuhr in Tunneln oder die Temperatur in großen Öfen.

"Natürlich leisten wir auch Exporthilfe für die deutsche Industrie", sagt Dunkel. "Für die wäre es ja viel zu teuer, wenn sie für ihre Produktionsanlagen in aller Welt immer eigene Leute mitbringen müssten." An qualifizierten Kräften allerdings fehlt es vielerorts. Immer mehr Konzerne bilden deshalb ihre Mitarbeiter vor Ort selbst aus. Das VW-Werk im amerikanischen Chattanooga stellte im Jahr 2010 die ersten 20 Auszubildenden für seine neu gegründete Volkswagen Academy ein. Bei Bosch im indischen Bangalore sind seit Anfang der 60er-Jahre schon 2400 Azubis durch die Lehre gegangen. Derzeit schulen 16 Ausbilder mehr als 170 angehende Elektriker, Mechatroniker, Werkzeugmacher und Maschinenführer. Das sind sogar mehr, als der deutsche Hausgerätehersteller selbst braucht. Bundespräsident Joachim Gauck lobte bei seinem Besuch Anfang Februar denn auch die "gesellschaftliche Verantwortung", die Bosch damit auch in Indien übernehme.

Duale Ausbildung als Entwicklungshilfe – der deutsche Staat jedenfalls kann sich derzeit vor Anfragen kaum retten. Erst im September schuf das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) die Zentralstelle für internationale Berufsbildungskooperation. Leiter Michael Wiechert hat schon alle Hände voll zu tun. "Obwohl es uns erst ein paar Monate gibt und wir noch gar nicht an die Öffentlichkeit getreten sind, gab es rund zehn neue Anfragen", sagt er. "Darunter waren offizielle Regierungsanfragen aus Ecuador, den Philippinen, Thailand und Mexiko." Bilaterale Arbeitsgruppen mit sechs europäischen Staaten sowie China, der Türkei, Indien, Russland und Südafrika gibt es bereits.

Eine Unterstützung vom Staat für die deutschen Weiterbildungsanbieter fehlt allerdings bis heute: Noch gibt es kein offizielles Gütesiegel für "Training made in Germany". "Andere Länder in Europa und der Welt treten mit solchen Zertifikaten von der Regierung auf dem Markt an", berichtet Breid von der Renewables Academy. "So haben wir einen echten Wettbewerbsnachteil." Breid fordert ein Zertifikat "am besten mit Bundesadler drauf". Das allerdings sieht man im Bundesbildungsministerium anders. Es gebe bereits eine Vielzahl von Zertifikaten für Bildungsdienstleistungen, erklärte ein Sprecher. "Insofern bedarf es keines staatlichen Gütesiegels."

Dem Sommelier Johannes Steinmetz ist der gute Ruf des deutschen Weines und ein Zeugnis der IHK Koblenz bisher Werbung genug. Seit 14 Jahren schon unterrichtet der Chef der Deutschen Wein- und Sommelierschule in Koblenz jeden Sommer rund 25 Studenten von einer Partnerhochschule in den USA. Dort erlebt die Weinkultur seit Jahren eine Renaissance. Wissen um die europäischen Sorten und Anbaugebiete zahlt sich aus für angehende Restaurantchefs und Hotelmanager. Das bekommen die Austauschstudenten in einem vierwöchigen Crashkurs. Auf dem Programm stehen neben Theorie über Rebsorten und Pflanzlagen Ausflüge zu Anbaugebieten in Frankreich oder an der Mosel.

Steinmetz und seine Ausbilder haben mit den Jahren gelernt, sich auf ihre ausländische Klientel einzustellen. "Die müssen wir, genau wie immer mehr junge Deutsche, was ihre Geschmacksnerven betrifft, weit unten in Empfang nehmen", sagt Steinmetz. "Eine Erdbeernote im Wein ist eben nicht zu vergleichen mit dem Aroma im Erdbeerjoghurt."

Die Expertise der Koblenzer jedenfalls scheint international gefragt. Inzwischen gibt es auch Interesse von Hotelketten in der Türkei und in Georgien. Ans Mittelmeer sind schon erste Dozenten von Steinmetz ausgeschwärmt. Der hält seit Neuestem Ausschau nach Ausbildern, die nicht nur Englisch, sondern auch Türkisch sprechen.

 

  • Von Inga Michler, Wirtschaftsreporterin

Quelle: Welt am Sonntag, Ausgabe 11, Seite 8, 16.03.2014