Berufliche Bildung - im Ausland ein "magisches Wort"

Hartmut Mattes ist ein formvollendeter Gastgeber: "Extra für Sie haben wir dieses Wetter bestellt", sagt der Vertreter des Kultusministeriums charmant auf Englisch in die Runde. Die 20 Delegationsmitglieder aus Singapur, die im sonnendurchfluteten Konferenzraum der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Esslingen Platz genommen haben, lächeln. Die Rollos werden herabgelassen, dann beginnt die Präsentation "Vocational Schools in Baden-Württemberg" - ein Überblick über die Möglichkeiten der hier praktizierten dualen Ausbildung in Betrieben und Schulen.

Mattes, im Kultusministerium zuständig für berufliche Schulen und internationale Kontakte, müsste erst gar nicht gut Wetter für das baden-württembergische Bildungssystem machen – die Interessenten stehen auch so Schlange.

Schlagendes Argument ist die europaweit niedrigste Jugendarbeitslosigkeit von 2,8 Prozent. Das spricht sich herum. "Wir stellen einen richtigen Run fest", sagt Mattes. Berufliche Bildung sei vielerorts in der Welt zu einem "magischen Wort" geworden - und Baden-Württemberg zu einer der ersten Adressen. Das Ergebnis ist eine steigende Zahl von "Bildungspartnerschaften".

Besonders groß ist die Nachfrage im asiatischen Raum. Singapur ist dafür das beste Beispiel. Seit 23 Jahren besteht im Bereich der beruflichen Bildung eine enge Partnerschaft mit Baden-Württemberg. Als weltweit einziges Land bietet der südostasiatische Stadtstaat eine Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker unter baden-württembergischer Lizenz an. "Singapur ist heute ein Partner auf Augenhöhe", sagt Mattes: "Das Land hat zweifellos das beste System der beruflichen Ausbildung in ganz Asien."

Zuletzt installierte Premierminister Lee Hsien Loong im November eine Enquetekommission für berufliche Bildung. Ihre Aufgabe ist es, Empfehlungen für die Modernisierung des eigenen Bildungssystems zu erarbeiten. Fast zwangsläufig führt ihr Weg nach Baden-Württemberg.

Angeführt von Bildungsstaatssekretärin Indranee Rajah, nahm die Kommission zwei Tage bezahlten Anschauungsunterricht in Esslingen und Stuttgart, um die Unterschiede zwischen dualer Hochschule (ehemals Berufsakademie) und Fachhochschule kennenzulernen und die Durchlässigkeit des Systems zu erfragen. Der Erlös derartiger Kooperationen – in diesem Fall ein kleiner fünfstelliger Betrag – kommt der Landesakademie zugute, die an ihren drei Standorten Esslingen, Comburg und Bad Wildbad jährlich rund 30.000 baden-württembergische Lehrer weiterbildet.

Die Leiterin der 2004 gegründeten Akademie, Elisabeth Moser, ist allerdings schon froh, wenn sich Bildungskooperationen mit dem Ausland aus sich heraus tragen. Anders als etwa Australien oder Kanada betreibe Baden-Württemberg nämlich kein gezieltes "Bildungsmarketing", bei dem auch etwas reinkommt.

Diesen Umstand erklärt sich Moser damit, dass hierzulande die Mentalität vorherrsche, Bildung müsse kostenlos sein. Die Akademiechefin würde es ausdrücklich begrüßen, wenn die Anstrengungen im Bildungsmarketing verstärkt würden. Dann stünden auch mehr Mittel zur Verfügung, um berufliche Lehrer für einige Zeit ins Ausland zu schicken. Bisher sind es weniger als 100 im Jahr. "Solche Auslandserfahrungen sind elementar wichtig", sagt Moser. Auch Mattes ist überzeugt: "Die Bildungspartnerschaften sind keine Einbahnstraße. Baden-Württemberg profitiert erheblich davon."

Die Voraussetzungen für mehr Bildungsmarketing sind vorhanden. Die berufliche Bildung in Baden-Württemberg steht im Ruf, ein Modell vielversprechender Möglichkeiten zu sein. Das Land liefert ausländischen Partnern nicht einfach nur Bildungs-Blaupausen, sondern gibt Anregungen, teilt Erfahrungen und begleitet Prozesse. Die Methodik- und Didaktikschulungen der Landesakademie gelten als vorbildlich.

"Im eigenen Land weiß man manchmal gar nicht genug zu schätzen, was man an der beruflichen Bildung hat", stellt Mattes fest. Das drückte sich zuletzt auch in rückläufigen Auszubildenden-Zahlen aus. Zwar besuchten noch immer mehr als 60 Prozent eines Jahrgangs das duale System. Die Demografie und der Trend zur Akademisierung machten sich jedoch bemerkbar. Der Rückgang bleibt auch den Gästen aus Singapur nicht verborgen. Das Problem sei erkannt, versichert Mattes. Zusammen mit den Kammern und der Industrie werbe man gezielt um den Nachwuchs.

Mustergültig ist für ihn das Beispiel der Ditzinger Firma Trumpf, die bereits Grundschüler an technische Berufe heranführe, indem beispielsweise selbst gemalte Osterhasenbilder aus dem Schulunterricht an Lasermaschinen nachgezeichnet würden. Im kommenden Jahr startet zudem eine vom Kultusministerium entwickelte neue App, die Jugendlichen das duale System näherbringen soll. Für Mattes bleibt es "das A und O des wirtschaftlichen Erfolgs."


Quelle: Stuttgarter Nachrichten, 05.03.2014