Autohersteller in Ungarn beklagen Facharbeitermangel

Fachkräfte sind in Ungarn immer schwieriger zu finden. Unternehmen aus Deutschland bilden in ihren Niederlassungen vor Ort schon seit längerem Facharbeiternachwuchs dual aus, beklagen aber eine besonders hohe Fluktuation. Die ungarische Regierung unterstützt die duale Ausbildung, hat dabei aber zunehmend Hochschulprogramme im Visier.

Das berichteten die Teilnehmer bei einem Round-Table-Gespräch auf der "Automotive Hungary" im November 2014 in Budapest.

Im segregierten Schulsystem Ungarns fehlt die Mitte. Die technischen Schulen, die nicht mit den deutschen Berufsschulen verglichen werden können, sind quasi Restschulen, auf denen viele sozial Benachteiligte unterkommen. Der Anteil von Roma ist außerordentlich groß, die vermittelten Grund- und Fachkenntnisse oft gering. So bewegt sich auch der Anteil der Arbeitslosen unter den Abgängern auf hohem Niveau. Im Schuljahr 2013/14 haben insgesamt 91.277 Schüler (nur Vollzeitschüler) diese Schule nach der achten Klasse verlassen.

Auf der Sekundarstufe kennt das ungarische Schulsystem sowohl Gymnasien als auch Fachmittelschulen, die einen beruflichen Abschluss, aber auch das Abitur anbieten. Die fachliche Ausbildung erfolgt im elften und zwölften Schuljahr in der Regel in schuleigenen Lehrwerkstätten. Zwar können nach der Verkürzung der Schulpflichtzeit von 18 auf 16 Jahre und der Zulassung dualer Ausbildungsprogramme mit einem erweiterten praktischen Teil handwerklich interessierte Schüler der Fachmittelschulen ab der zehnten Klasse eine Lehrstelle annehmen. Populärer ist aber der höhere Schulabschluss. Das Interesse an einer Lehrstelle fällt meist deutlich geringer aus.

Im Schuljahr 2013/14 standen 36.136 Abiturienten und 32.300 Abgänger mit einem Fachmittelschulabschluss 56.972 Erstsemester an einer Hochschule/Universität gegenüber. Bei den mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Fachrichtungen liegt Ungarn mit einem Anteil an den Studenten von 21,1 Prozent (2010) in Europa auf den hinteren Rängen. Nur noch in Belgien, Dänemark, Lettland, den Niederlanden sowie in Island und Norwegen war die Quote geringer.

 

Deutsche Unternehmen bilden Fachkräfte vor Ort aus

 

Für Spezialisierungen, an denen ausländische Unternehmen in der Kraftfahrzeug (Kfz)- und Kfz-Teileindustrie besonders interessiert sind, wie zum Beispiel Schweißer und Mechatroniker, ist die fachliche Ausbildung an den Fachmittelschulen in der Regel unzureichend oder fehlt ganz.

So berichtet ein ausländisches Unternehmen der Kfz-Zulieferindustrie davon, dass nicht alle, die sich auf eine Stellenausschreibung für Schweißer beworben hätten, auch schweißen konnten. Andere hätten nur eine Schweißtechnik beherrscht.

Große deutsche Unternehmen in Ungarn wie Siemens, Audi, Bosch, Mercedes, Opel oder Knorr-Bremse bieten vor Ort zum Teil schon seit langem duale Ausbildungsprogramme für Facharbeiter an und investieren fortgesetzt in Lehrwerkstätten. Sie arbeiten dabei gewöhnlich eng mit den Fachmittelhochschulen zusammen und können auf gute Ergebnisse verweisen. Die Unternehmen machen allerdings auch die Erfahrung, dass qualifizierte Facharbeiter schwer zu halten sind.

Noch vor Abschluss der Lehre wechseln einige an einen anderen Arbeitsplatz oder beginnen ein Studium. Anders sieht es bei Führungspositionen wie Teamleitern oder Systemingenieuren aus, die gewöhnlich eine hohe Loyalität zum Unternehmen zeigten.

Die Arbeitgeber machen zwar auch die oft unattraktiven Lebensverhältnisse in der Provinz für den Fachkräftemangel verantwortlich und raten zu Investitionen in die regionale Infrastruktur und städtische Entwicklungen.

In Städten in besonders schwach entwickelten Landesteilen wie in Miskolc (Nordungarn) oder Kecskemét (Südliche Tiefebene) treffen sie gleichzeitig aber auch auf eine große Kooperationsbereitschaft der Schulen bei der Umsetzung ihrer dualen Ausbildungsprogramme.

Die ungarische Regierung hat sich die Förderung der dualen Ausbildung auf die Fahnen geschrieben. Damit soll nicht zuletzt ihr Ziel, beim Industrieausstoß und Export gemessen am Bruttoinlandsprodukt die Nummer eins in Europa zu werden, möglich werden.

Nach ihren Angaben nehmen landesweit gegenwärtig knapp 50.000 Auszubildende in 7.000 Betrieben an dualen Programmen teil. Diese hohe Zahl zeigt, dass duale Ausbildung sehr viel weiter als in Deutschland gefasst wird und vor allem die praktische Unterweisung in Lehrwerkstätten umfasst. Deren Aufbau wird sowohl in Unternehmen als auch in Schulen gefördert. Zudem erhalten Betriebe für jeden Auszubildenden einen Zuschuss, der 2014 bei 453.000 Forint (Ft) lag (Wechselkurs am 07.11.2014: 1 Euro = 308,97 Ft).

 

Lehrwerkstätten erhalten finanzielle Unterstützung

 

Insgesamt 50 Milliarden Ft will die ungarische Regierung für Lehrwerkstätten im neuen Förderzyklus der Europäischen Union (EU) bereitstellen. An den Hochschulen und Universitäten soll es gleichzeitig weniger Studienplätze geben. Das Angebot soll durchforstet und dem Bedarf des Arbeitsmarktes besser angepasst werden.

Nachdem schon die Schulreform von 2012 die Schulen unter unmittelbare Kontrolle des Staates gebracht hatte, erhält dieser durch die neue Hochschulpolitik nun auch auf die tertiäre Ausbildung direkten Einfluss. Inwieweit die Steuerung der Ausbildung gegen den Willen von Eltern und Schülern kurzfristig durchsetzbar ist, wird sich zeigen. Der Bereich dürfte noch sensibler sein als die Besteuerung von Internetdienstleistungen, die zu umfangreichen Straßenprotesten geführt hatte mit der Folge, dass das Gesetz zurückgenommen wurde.

In letzter Zeit richtet sich das Interesse der ungarischen Regierung so auch vermehrt darauf, die Ausbildung von Ingenieuren, Informatikern, Agrar- und Wirtschaftswissenschaftlern dual zu gestalten. Vorlesungen und Seminare sollen in regelmäßigem Wechsel mit praktischer Erfahrung an einem Arbeitsplatz in einem Unternehmen erfolgen. Vorbild dürfte die Duale Hochschule in Baden-Württemberg sein.

Sowohl Bachelor- als auch Masterstudiengänge sollen in dieser Form angeboten werden. Hier wären keine gewachsenen Strukturen zu durchbrechen und wahrscheinlich auch kein Widerstand von den Studierenden zu erwarten.

Ein Beirat für die duale Hochschulausbildung ist in Vorbereitung. Er soll für die Ausbildungsprogramme, Akkreditierungen und Zertifizierung der Unternehmen zuständig sein. Durch das neue Hochschulgesetz wurde die rechtliche Basis schon geschaffen. Ab Herbst 2015 - so die jetzigen Planungen - soll der erste Jahrgang dual studieren können.

Auch die Entwicklungen im Automobilbau in Richtung Elektromobilität, Digitalisierung und Vernetzung sprechen für einen Fokus auf höhere qualifizierte Arbeitskräfte, heißt es.


Quelle: Germany Trade and Invest GTAI, 13.11.2014