Tutoren in Hongkong: Nachhilfe-Star verdient Millionen

Nachhilfelehrer werden in Hongkong wie Popstars verehrt, Arbeitgeber umwerben sie. Nun bot ein Institut einem 28-jährigen Pädagogen ein Jahresgehalt von 9,6 Millionen Euro. Er lehnte ab.

Mit Yat-Yan Lams Gesicht ließe sich chinesische Popmusik bestens vermarkten: Der 28-Jährige hat ein sympathisches Lächeln, einen modischen Fransenhaarschnitt, makellose Babyhaut.

Tatsächlich verdient der Hongkonger sein Geld mit seiner Stimme - doch nicht etwa, indem er singt, sondern indem er Nachhilfeschülern Mandarin und Kantonesisch eintrichtert.

Lam ist als Nachhilfelehrer steinreich geworden. Umgerechnet vier Millionen Euro Jahresgehalt macht der Junglehrer bei der Beacon Group, einer der prestigeträchtigsten Nachhilfeschulen in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Und weil Tutoren dort wie Popstars von treuen Fans verehrt und gefeiert werden, ist er nun zum Objekt eines dekadent anmutenden Bieterstreits geworden.

Anfang Oktober veröffentlichte die ebenfalls als erstklassig geltende Nachhilfeschule Modern Education einen ganzseitigen offenen Brief in einer lokalen Zeitung. Darin bot das Institut Lam ein Jahresgehalt von umgerechnet 9,6 Millionen Euro, wenn er seinen Job bei Beacon an den Nagel hänge und bei Modern Education anheuere.

Nachhilfestunden sind in der Finanzmetropole Hongkong nicht etwa etwas für Schulversager, sie gehören zum guten Ton: Eltern, die auf sich halten, schicken ihre Sprösslinge zu privaten Instituten, in denen die sogenannten Tutoren den Gymnasiasten den Lernstoff noch mal näher bringen. Hintergrund ist ein knallharter Wettbewerb um die Plätze in den besten Colleges und Universitäten. Nur Schüler mit Bestnoten haben eine Chance, also wird auch in der Freizeit gebüffelt.

 

16 Euro für eine Stunde Nachhilfe per Video

 

Für die Eltern ist das teuer, für die Anbieter von Tutorien ein Bombengeschäft: Die etwa 900 Nachmittagsschulen haben im vergangenen Jahr zusammen über 100 Millionen Euro Gewinn gemacht, ermittelte das Marktforschungsinstitut Euromonitor. Die "South China Morning Post" wetterte jüngst gegen das "parasitäre Geschäft", das von der Ineffizienz des Schulsystems lebe und die Unsicherheiten von jungen Schülern und Eltern ausschlachte.

Langfristig aber scheint die Branche schweren Zeiten entgegenzugehen: Immer weniger Kinder im schulpflichtigen Alter leben in Hongkong, die Institute verzeichnen einen spürbaren Rückgang der Schülerzahlen. Ein Überlebenskampf hat begonnen, bei denen es vor allem um Stars wie Lam geht. Dessen pädagogische Fähigkeiten schlachtet Beacon kräftig aus: Jede Stunde, die Lam gibt, wird aufgezeichnet und vor bis zu 18 weiteren Klassen ausgestrahlt, beschreibt die "Financial Times" das System. Schüler, die den Tutor nur als Video zu sehen bekämen, erhielten nur Nachlass von umgerechnet 2,30 Euro auf den Preis von 67 Euro für vier Stunden Live-Lam.

Der 28-Jährige erreicht dank der Mehrfachverwertung etwa 25.000 Schüler - jeden sechsten Gymnasiasten der Stadt. Lam allein soll im vergangenen Jahr für Beacon über 14 Millionen Euro, etwa 40 Prozent seines Ertrags, erwirtschaftet haben, berichtet die "South China Morning Post".

Lam und seine Kollegen sind in ihrer Heimatstadt allgegenwärtig: Die Bilder der durch die Bank blendend aussehenden jungen Männer und Frauen prangen auf Plakatwänden und auf U-Bahn-Wagen. Werbeclips, in denen sie auftreten, laufen im Fernsehen.

Modern Education setzte mit seinem Abwerbeversuch darauf, dass ein Großteil von Lams Schülern mit ihm zur Konkurrenz wechseln würden. Gleichzeitig sollte der offene Brief vor einem geplanten Börsengang das Vertrauen in Beacon erschüttern.

Vorerst scheint die Gefahr für Hongkongs größte akademische Kaderschmiede gebannt. Lam lehnte das Angebot nach nur kurzer Bedenkzeit ab. Auf Facebook wandte er sich an seine etwa 60.000 Follower: "Ich glaube, dass ich mich und meine Familie ernähren kann. Es macht also keinen Unterschied, ob ich 50 Millionen oder 80 Millionen Hongkong-Dollar mehr habe", schrieb er.

Beacon kann durchatmen, zumindest bis zum nächsten Sommer. Dann läuft Lams Vertrag aus, und es muss neu verhandelt werden.


Quelle: Spiegel online, spiegel.de, Nachrichten > SchulSPIEGEL > Querweltein > Volksrepublik China, 28.10.201