Indien gibt den Weg für die Goods and Services Tax frei

Im August 2016 hat das Oberhaus des indischen Parlaments der Einführung einer Waren- und Dienstleistungssteuer, der "Goods and Services Tax (GST)" zugestimmt. Die GST soll ein landesweit einheitliches System der indirekten Steuern schaffen und so für mehr Transparenz und Effizienz im inländischen Warenverkehr sorgen.

Bislang ist das indische Steuersystem gekennzeichnet durch eine Vielzahl regional unterschiedlicher Steuern und eine hohe Komplexität.

Als "größte Steuerreform seit der Öffnung der Wirtschaft 1991", als "Game Changer" und "historische Gelegenheit", so und ähnlich wird die Einführung des landesweit einheitlichen Systems der indirekten Besteuerung - der Waren- und Dienstleistungssteuer (Goods and Service Tax, GST) - in Indien gefeiert.

Nachdem sich die Reform knapp zehn Jahre in der Vorbereitung befunden hatte, konnte die Regierung um Narendra Modi am 3.8.16 einen weiteren Liberalisierungserfolg verzeichnen. Mit der einstimmigen Verabschiedung der Verfassungsreform (The Constitution (122nd Amendment) Bill) im Oberhaus des indischen Parlaments wurde die bisher größte Hürde für die GST genommen.

Die Wirtschaft steht der Überarbeitung des bisherigen Steuersystems, das sich vor allem durch eine Vielzahl an regional unterschiedlichen Steuern und hohe Komplexität auszeichnet, sehr positiv gegenüber. Volkswirtschaftlichen Prognosen zufolge soll allein die Reform ein Wirtschaftswachstum von zwischen 0,9 und 2 Prozent generieren.

GST-Reform ist dringend erforderlich

Traditionell beziehen die indische Regierung und die Bundesstaaten einen Großteil ihrer Einnahmen durch indirekte Steuern, da noch immer knapp 90 Prozent der Bevölkerung ohne einkommensteuerliche Erfassung im informellen Sektor tätig ist.
Das bisherige Recht der indirekten Besteuerung aber gleicht einem Flickenteppich. Nicht nur der Zentralstaat, sondern auch die Bundestaaten sowie teilweise die Kommunen ziehen Steuern auf Waren und Dienstleistungen ein.

So erhebt der Zentralstaat unter anderem Steuern auf die Güterproduktion (Central Excise Duty / CenVAT), eine Service Tax auf Dienstleistungen und die Central Sales Tax auf den innerstaatliche Grenzen überschreitenden Güterverkehr.

Die Bundesstaaten hingegen generieren Einkommen insbesondere durch die Value Added Tax, einer je nach Bundesstaat in der Höhe variierenden Mehrwertsteuer auf den Warenverkehr innerhalb der jeweiligen Bundesstaaten. Daneben existieren bundesstaatliche und kommunale Entry Taxes und Octrois und damit Einfuhrsteuern auf Waren, die in kommunale Gebietskörperschafen wie in die Metropole Mumbai geliefert werden.

Die Vielfalt indirekter Besteuerung und die damit verbundenen finanziellen und praktischen Belastungen, insbesondere die Grenzkontrollen an bundesstaatlichen Grenzen, schränken den innerindischen Handel immens ein. Die LKW-Staus zwischen den Bundesstaaten und vor den Toren Mumbais sind Folge dieser überbordenden Besteuerung und der damit verbundenen veralteten und ausufernden Bürokratie.

Eine sinnvolle Logistik- und Distributionsplanung, beispielsweise in Form der Einrichtung von bundesstaatenübergreifenden Distributionszentren, ist praktisch ausgeschlossen. Die Wirtschaft bemängelt seit Jahren die Ineffizienz im inländischen Warenverkehr. Produktion und Vertrieb werden vielmals entlang steuerlicher Gegebenheiten und Sonderregelungen anstatt nach tatsächlichem Bedarf geplant.

Die Einführung der Waren- und Dienstleistungssteuer soll nun endlich den Weg zu einem einheitlichen indischen Wirtschaftsraum - einem Binnenmarkt von 1,3 Milliarden Konsumenten - schaffen.

Inhalt und gesamtwirtschaftliche Auswirkungen

Die Einzelheiten zur Steuerreform werden voraussichtlich im November 2016 von einer neu zu errichtenden Kommission, dem GST-Council, ausgearbeitet. Die bisher bekannten Details deuten überwiegend in die Richtung von Vereinfachung, erhöhter Transparenz und Effizienzsteigerung.

Die Gesetzgebung sieht für Transaktionen innerhalb eines Staates ein duales System von Central GST (Bund) und State GST (Bundesstaaten) und bei Transaktionen zwischen den Bundesstaaten ein integriertes System - Integrated GST - vor.

Die Festlegung des Steuersatzes auf Waren und Dienstleistungen steht noch aus. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die GST eine dreigliedrige Struktur aufweisen wird: einen Standardsatz von 17 bis 18 Prozent, einen ermäßigten Satz von 12 bis 14 Prozent auf Waren wie Grundnahrungsmittel und 40 Prozent auf Luxusartikel. Diesem Berechnungsansatz liegt die Forderung von verschiedenen Seiten, keine verschleierte Steuererhöhung durchzuführen, zugrunde. Der resultierende durchschnittliche Steuersatz von 15 bis 15,5 Prozent wäre entsprechend einkommensneutral, Dienstleistungen hingegen würden gegenüber dem bisherigen Satz um 2 bis 3 Prozent teurer werden.

Die GST-Reform wird mindestens 17 verschiedene Steuern der Zentralregierung und der Bundesstaaten ersetzen, ferner wird die Steuer auf die Wertschöpfung (Central Value Added Tax (CenVAT)) abgeschafft, beides führt effektiv zu einer Reduzierung des bisherigen Kaskadeneffektes in der Herstellung von Gütern und letztlich zu niedrigeren Preisen für die Endverbraucher. Durch die künftig geforderte Transparenz in Form der Dokumentation von Ein- und Verkaufspreisen werden große Teile des informellen Sektors erstmals besteuert werden, was die sehr begrenzte Steuerbasis stark erweitern wird.

Auswirkungen auf Industrie und Handel

Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind tiefgreifend. Bislang basierten Entscheidungen zur Geschäftsentwicklung eher auf Aspekten der Steueroptimierung als auf Produktivitätssteigerung. Unternehmen können sich nun auf die Kernbereiche Beschaffung, Produktion und Vertrieb konzentrieren. Im Bereich Beschaffung werden beispielsweise aufgrund des reduzierten Kaskadeneffektes Halbfertigprodukte neu bepreist, Standorte neu bewertet oder die vertikale Integration beleuchtet.

Im Bereich Produktion können künftige Werke gegebenenfalls besser in Produktionsketten integriert werden oder näher am Konsumenten geplant werden. Im Vertrieb kann es möglich sein, dass Unternehmen die bisher aufgrund von steuerlichen Rahmenbedingungen eine Vielzahl an Warenhäusern betreiben mussten, diese stark reduzieren können. Direkte Auswirkungen werden für die Logistik- und E-Commerce-Branche erwartet, da grundsätzlich Waren künftig schneller und einfacher innerhalb Indiens transportiert werden können.

Nach der anspruchsvollen Einführungsperiode werden neben den positiven Effekten aber auch Neubelastungen auf Unternehmen zukommen. Der Aufwand für die Ermittlung, Nachweis und Abführung von Steuern wird teilweise steigen. So werden Unternehmen Steuern erst dann abführen können, wenn die Zulieferer ihrerseits ihre steuerlichen Pflichten bereits erfüllt haben. Periodische Steuererstattungen dürften komplexer werden. Auch besteht noch keine Klarheit, inwieweit die bisherigen steuerlichen Ausnahmeregelungen in Sonderwirtschaftszonen (SEZ) beibehalten werden.

Eine Reform dieser Größe wirft weitreichende Fragen zur praktischen Umsetzbarkeit, speziell in der Wirtschaft, auf. So haben Unternehmen nach dem aktuellen Fahrplan nur drei Monate Zeit, um ihre IT-Systeme auf die Anforderungen der GST umzustellen.

Nächste Schritte - Legislativer Prozess

Damit die Steuerreform in Kraft treten kann, sind noch einige Hürden zu überwinden. Insbesondere muss der GST-Council die Details der Reform ausarbeiten, die Anfang 2017 veröffentlicht werden sollen. Wirtschafts- und Industrieverbände haben bis Oktober 2016 Zeit eigene Stellungnahmen abzugeben.

Inkrafttreten soll die GST-Reform mit dem Beginn des neuen Steuerjahres am 1.4.17. Ob dieser mehr als ehrgeizige Zeitplan eingehalten werden kann, bleibt abzuwarten. Allerdings waren die Chancen auf eine tatsächliche Umsetzung dieses steuerlichen Megaprojektes nie größer als jetzt.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, gtai.de, 19.09.2016