Audi Hungaria Schule Győr: Theorie und Praxis verzahnt erleben

Das Audi Hungaria Bildungszentrum richtete zusätzlich zu den allgemeinbildenden Bildungsangeboten vom Kindergarten bis zum Abitur im Kalenderjahr 2017 auch einen beruflichen Zweig ein.

Die Budapester Zeitung sprach mit Andreas Mittermair, dem Leiter der beruflichen Bildung, über die Vorbereitung und Einführung dieses neuen Ausbildungsganges sowie über die Erfahrungen der ersten Monate.

Auf wessen Initiative startete im September 2017 der berufliche Zweig an der Schule?

An deutschen Auslandsschulen in Südamerika, Asien und auch in Europa gibt es bereits duale Ausbildungsgänge, einige mit jahrzehntelanger Tradition. Die Initiative für die Erweiterung der dualen Ausbildung an unserem Standort in Győr kam vom Auswärtigen Amt. Sie verfolgte das Ziel, die berufliche Bildung an deutschen Auslandsschulen zu stärken.

Wie lange dauerte die Vorbereitung?

Ich selbst bin seit Februar 2016 an der Audi Hungaria Schule (AHS) und begleite dort als Projektleiter ein deutsch-ungarisches Kooperationsprojekt zur internationalen dualen Berufsausbildung. Eine Teilaufgabe hiervon war die Einführung einer dualen kaufmännischen Berufsausbildung an der Audi Hungaria Schule, an der ich seit Beginn meines Aufenthaltes in Ungarn mit vielen Unterstützern gearbeitet habe.

Welche Projektabschnitte würden Sie hervorheben?

Wenn ich die kaufmännische Berufsausbildung betrachte, dann gab es vier wesentliche Projektabschnitte: Zunächst war die Auswahl eines kaufmännischen Berufsbildes und die anschließende konzeptionelle Entwicklung für Ungarn analog zur dualen Berufsausbildung der Industriekaufleute in Deutschland zu gestalten.

Danach waren die notwendigen formalen Voraussetzungen mit den zuständigen Behörden in Ungarn und Deutschland abzustimmen. Parallel dazu begannen die Gespräche mit potenziellen Partnerunternehmen für den praktischen Teil der Ausbildung in Győr und Umgebung. Gleichzeitig musste der Bildungsgang an der Schule organisatorisch vorbereitet und in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.

Wo liegen die Schwerpunkte der dualen kaufmännischen Berufsausbildung an der Audi Hungaria Schule?

Das Besondere liegt darin, dass wir die "duale" Ausbildung, wie wir sie aus Deutschland kennen, auch wirklich umsetzen. "Duale Ausbildung" bedeutet dabei, dass unsere Schülerinnen und Schüler an zwei verschiedenen Lernorten ausgebildet werden. In unseren Partnerunternehmen findet das praktische Lernen statt, während bei uns in der Schule in erster Linie theoretische Aspekte der beruflichen Tätigkeit auf dem Stundenplan stehen.

Das Besondere bei uns an der Audi Hungaria Schule besteht zusätzlich darin, dass unsere angehenden fremdsprachigen Industriekaufleute dreisprachig ausgebildet werden: Deutsch, Ungarisch, Englisch. Dabei werden unsere Lernenden beispielsweise in den berufsbezogenen Fächern 12 Stunden pro Woche von deutschen Muttersprachlern in deutscher Sprache im Fachunterricht begleitet.

Darüber hinaus planen wir für unsere Lernenden die Möglichkeit zum Erwerb eines Fremdsprachenzertifikates in Wirtschaftsenglisch.

Worin liegt der zentrale Vorteil eines dualen Bildungsganges?

Der Vorteil liegt darin, dass der integrative Erwerb fachlicher, berufspraktischer Kompetenzen deutlich nachhaltiger ermöglicht werden kann, als dies bei einem rein schulischen beruflichen Bildungsangebot der Fall wäre. Wenn wir Schülerinnen und Schüler dazu befähigen wollen, zukünftigen beruflichen Anforderungen kompetent begegnen zu können, dann setzt dies natürlich auch intensive Praxiserfahrungen bereits während der Ausbildung voraus.

In welchen Unternehmen können die Auszubildenden die praktischen Kompetenzen erwerben?

Bisher haben unsere Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, praktische Kompetenzen bei AUDI HUNGARIA, BOS, KACO und MAN zu erwerben. Für das nächste Schuljahr ist zusätzlich eine Kooperation mit den Unternehmen Duvenbeck und Knüppel vereinbart. Selbstverständlich freuen wir uns auch zukünftig über das Interesse von weiteren Unternehmen an einer Zusammenarbeit mit uns.

Gibt es genügend teilnehmende Unternehmen und sind diese ausreichend auf diese Aufgabe vorbereitet?

Bisher zeigen insbesondere die Unternehmen ein großes Interesse an einer Kooperation mit uns, bei denen die deutsche Sprache im Geschäftsalltag eine besondere Bedeutung hat.

Die neue Rolle der kontinuierlichen Begleitung und Förderung von kaufmännischen Auszubildenden versuchen wir auch durch eine enge Vernetzung der Unternehmen untereinander und die Organisierung von Veranstaltungen zur Förderung des Dialogs untereinander zu unterstützen. Gleichzeitig werden etwa die zukünftigen Ausbildungsbeauftragten bei Audi Hungaria von der Audi Akademie Hungaria durch mehrteilige Qualifizierungsseminare im Verlauf der zweijährigen Ausbildung kontinuierlich auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet.

Dankenswerterweise können bisher auch alle anderen mit uns kooperierenden Partnerunternehmen dieses Angebot für die Qualifizierung der eigenen Ausbildungsbeauftragten nutzen.

Wer kann sich für diesen Ausbildungsgang bewerben? Welche Vorkenntnisse müssen die Bewerber mitbringen, welche Voraussetzungen müssen sie erfüllen?

Unsere kaufmännische Berufsausbildung 'Fremdsprachiger Industriekaufmann/Fremdsprachige Industriekauffrau' richtet sich an junge Abiturienten und Abiturientinnen, die besonders leistungsorientiert und motiviert sind. Neben dem Abitur müssen Bewerber auch Deutschkenntnisse mit einem Niveau von mindestens B2, idealerweise C1 nachweisen.

Aufgrund der eingegangenen Bewerbungen laden wir ausgewählte Bewerberinnen und Bewerber zu einem halbtägigen Auswahlverfahren zu uns nach Győr ein. Hier müssen Sie dann unter anderem ihre Deutschkenntnisse in einem schriftlichen Test und einem Interview unter Beweis stellen. Weiter stehen beim Auswahlverfahren, an dem auch die Vertreter der Partnerunternehmen bereits beteiligt sind, ein Interview und eine Präsentation in ungarischer Sprache sowie ein Berufseignungstest auf dem Programm.

Wie viele Schülerinnen und Schüler gibt es derzeit im beruflichen Zweig der AHS und wie sind die ersten Erfahrungen?

In unserem ersten Jahrgang haben wir insgesamt 12 Schülerinnen und Schüler aufgenommen. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass unser Bildungsgang so gut angenommen wurde. Die Hälfte unserer Schülerinnen und Schüler kommt aus der Region um Győr, die andere Hälfte aus ganz Ungarn. Die Anzahl der Bewerbungen lag um ein Vielfaches höher als die zur Verfügung stehenden Schulplätze.

Nach den ersten Monaten können wir sagen, dass es uns durch das Auswahlverfahren gelungen ist, sehr motivierte und leistungsfähige Lernende auszuwählen. Unsere erste Klasse hat sich sehr schnell daran gewöhnt, dass der Fachunterricht in deutscher Sprache stattfindet und hat ihre ohnehin bereits fundierten deutschen Sprachkenntnisse in den ersten Monaten deutlich weiterentwickeln können. Es macht wirklich viel Spaß, mit so motivierten und leistungsbereiten Schülerinnen und Schülern zusammenzuarbeiten.

Für das Jahr 2018/19 planen wir mit der gleichen Zahl an Schülerinnen und Schülern.

Wie erfahren junge Leute von der neuen Möglichkeit der dualen Berufsausbildung an der AHS?

Wir informieren alle DSD II-Schulen [DSD: Deutsches Sprachdiplom] über unser Bildungsangebot und bieten bei Interesse auch Besuche bei den Schulen landesweit an. Weiterhin stellen wir auch das Angebot bei Berufsbildungsmessen vor und laden Schulen zu uns nach Győr ein. Parallel dazu informieren unsere Partnerunternehmen im Rahmen ihres Personalmarketings über unser Angebot.

Nach dem erfolgreich absolvierten Auswahlverfahren stimmen wir gemeinsam mit den Partnerunternehmen und unter Berücksichtigung der Interessen der Bewerberinnen und Bewerber die Auswahl des Ausbildungsunternehmens ab.

Welche Vorteile haben die Auszubildenden durch diese Ausbildung und wie sind deren Zukunftsaussichten?

Die große Chance ist aus meiner Sicht die Möglichkeit, Theorie und Praxis verzahnt zu erleben und dadurch die verschiedenen betrieblichen Funktionen im Unternehmen während der Ausbildung zu durchlaufen. Gleichzeitig erhalten die Schülerinnen und Schüler in der Schule aber auch die Möglichkeit zur Vertiefung der theoretischen Aspekte der unternehmerischen Tätigkeit.

Die späteren 'Fremdsprachigen Industriekaufleute' werden als Generalisten in allen verschiedenen Bereichen eines Unternehmens einsetzbar sein – und dies dreisprachig. Hierdurch ergeben sich vielfältige Möglichkeiten zur Beschäftigung in einem Industrieunternehmen.

In meinen bisherigen Gesprächen mit Unternehmen wurde immer wieder deutlich, wie hoch der Bedarf an qualifizierten Fachkräften ist. In Deutschland ist eine Ausbildung zum Industriekaufmann nicht selten auch eines der traditionellen 'Sprungbretter' in ein anschließendes Studium der Betriebswirtschaft für Abiturienten, um sich weiter zu entwickeln.

Die Schülerinnen und Schüler erwerben einen Abschluss der ungarischen Handelskammer. Es besteht aber auch die Möglichkeit, einen Antrag zur Anerkennung des ungarischen Abschlusses bei der IHK FOSA (Industrie- und Handelskammer - Foreign Skills Approval) in Nürnberg zu stellen.

Wenn Sie junge Menschen überzeugen wollten, diese kaufmännische Ausbildung zu absolvieren, welche Aspekte würden Sie besonders hervorheben?

Diese Frage könnten sicherlich am besten unsere heutigen Schülerinnen und Schüler beantworten, die sich seit September in unserer kaufmännischen Berufsausbildung befinden.

Sehr positiv wurde bei den verschiedenen Informationsveranstaltungen, bei denen ich den Bildungsgang vorgestellt habe, aufgenommen, dass der Bildungsgang bei uns kostenfrei besucht werden kann und die Schülerinnen und Schüler bereits während der Ausbildung eine monatliche Auszubildendenvergütung von den teilnehmenden Partnerunternehmen erhalten.

Sehr attraktiv wird auch die Möglichkeit bewertet, ein vierwöchiges Sommerpraktikum an einem Standort in Deutschland absolvieren zu können. Auch die heutigen Partnerunternehmen aus dem Bereich der Automobilindustrie und die damit verbundenen Lernchancen sind für unsere Schüler sehr attraktiv.

Was hat Sie ganz persönlich daran gereizt, ein solches Projekt hier in Győr umzusetzen?

Nachdem ich bereits bei meinem Studium von der Möglichkeit der Tätigkeit an einer deutschen Auslandsschule für deutsche Lehrkräfte gehört hatte, habe ich die Arbeit im deutschen Auslandsschulwesen immer wieder mit einem Auge verfolgt und 2015 mein Interesse für eine Tätigkeit im Auslandsschulwesen signalisiert. Das Angebot aus Győr und die damit verbundenen Möglichkeiten zur konzeptionellen Mitgestaltung von verschiedenen Bereichen der Beruflichen Bildung fand ich sehr interessant und gleichzeitig herausfordernd.

Im Rückblick auf die letzten beiden Jahre kann ich sagen, dass meine vorherigen Tätigkeiten und die damit verbundenen Aufgaben bei der Begleitung von Schulen bei der Umsetzung von neuen Bildungsgängen und Innovationen für meine bisherige Arbeit hier in Győr hilfreich waren.

Was waren Ihre Beweggründe nach Ungarn zu kommen?

Ich muss zugeben, dass ich Győr zunächst nicht als einen möglichen Standort für mich im Blick hatte, da ich mich an den damals bereits existierenden Standorten der beruflichen Bildung an deutschen Auslandsschulen orientierte. Da es Győr damals als beruflichen Standort noch nicht gab, habe ich mit Győr als mögliche neue Heimat auf Zeit nicht gerechnet. Ich freue mich heute aber umso mehr, ein solches Projekt im Umfeld der Audi Hungaria Schule in der Region Győr gemeinsam mit allen Beteiligten umsetzen zu dürfen.

Heute kann ich sagen, dass es - neben allen besonderen Chancen und positiven Erfahrungen unseres Standortes hier - etwas ganz Besonderes ist, gemeinsam mit so motivierten und engagierten Schülerinnen und Schülern diesen Bildungsgang mit Leben zu füllen.

Ich habe großen Respekt davor, dass unsere Schülerinnen und Schüler sich der Herausforderung stellen, diese anspruchsvolle Ausbildung mit einem Schwerpunkt in deutscher Sprache zu absolvieren.

Berufliche Bildung an der Audi Hungaria Schule Győr

Duale kaufmännische Berufsausbildung 'Fremdsprachiger Industriekaufmann/Fremdsprachige Industriekauffrau'

Bewerbungsvoraussetzungen

  • Abitur 12. Klasse
  • Sprachniveau der deutschen Sprache mindestens B2, idealerweise C1

Dauer und Form der dualen Ausbildung

  • 2 Jahre, 3 Tage pro Woche im Betrieb und 2 Tage pro Woche in der Schule

Abschlüsse bei erfolgreichem Besuch

  1. Abschlusszeugnis der ungarischen Handelskammer "Idegennyelvű ipari és kereskedelmi ügyintéző"
  2. Abschlusszeugnis der Audi Hungaria Schule
  3. Möglichkeit zum Erwerb eines Sprachzertifikats in Wirtschaftsenglisch
  4. Möglichkeit der Antragstellung zur Feststellung der Gleichwertigkeit der Berufsausbildung in Deutschland (IHK FOSA Nürnberg)

Dreisprachige Ausbildung

  • Schwerpunkt: Deutsch
  • zusätzlich: Ungarisch und Englisch

Inhaltliche Schwerpunkte der Ausbildung

  • Beschaffungsprozesse
  • Produktionsprozesse
  • Absatzprozesse
  • Personalprozesse
  • Finanz- und Rechnungswesen
  • Projektmanagement

Quelle: Budapester Zeitung, budapester.hu, 28.01.2018