Berufsbildung im fragilen Kontext

Krisen und steigende Fragilität erfordern strukturelle und nachhaltige Lösungen zu ihrer Überwindung. Berufsbildung kann einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung und Wirtschaftsförderung leisten, insbesondere wenn sie einem ganzheitlichen Ansatz folgt. Tatsächlich zielen Berufsbildungsmaßnahmen in fragilen Kontexten aber häufig auf kurzfristige (Beschäftigungs-)Wirkungen ab, wodurch Potenziale nicht voll ausgeschöpft werden.

Die aktuelle Ausgabe von Entwicklungspolitik Kompakt plädiert daher für einen holistischen Berufsbildungsansatz in fragilen Kontexten, der eng verknüpft ist mit einer lokal angepassten Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung.

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Fragile Staatlichkeit und gewalttätige Konflikte stellen vielerorts ein zentrales Entwicklungshemmnis dar und stehen in enger Wechselwirkung mit Armut. Von fragilen Kontexten ist die Rede, wenn ein nur eingeschränktes staatliches Gewaltmonopol vorliegt, der Staat nicht in der Lage ist, soziale Basisdienstleistungen bereitzustellen und es ihm an Legitimität mangelt.

Im Jahre 2030 werden nach Schätzungen der Weltbank die Hälfte aller in Armut lebenden Menschen einer fragilen Umwelt ausgesetzt sein. In solchen Kontexten kann Berufsbildung einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung und Wirtschaftsentwicklung leisten.
 

Berufsbildung ist mehr als die Vermittlung von Fertigkeiten für die Arbeitswelt

Berufsbildung istals ganzheitliche Maßnahme zu begreifen, in der sowohl "weiche" als auch "harte" Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten und Einstellungen vermittelt werden. Sie zielt darauf ab, die Lebensgrundlage zu verbessern, indem sie die Eingliederung in die Arbeitswelt und die Teilhabemöglichkeiten in der Gesellschaft befördert, und individuelle Einkommens-und Handlungsmöglichkeiten stärkt.

Fragilität ist ein dauerhaftes Phänomen und benötigt strukturbildende Konzepte

In hochfragilen Kontexten kommen im Bereich der Berufsbildung bisher überwiegend Ansätze der humanitären- und Übergangshilfe zum Tragen. Dazu gehören handwerkliche Kurzkurse in Kombination mit "livelihoods training" und "life skills training", die in der Regel auf kurzfristige Wirkungen ausgerichtet sind. Bislang liegen wenige Evaluierungen solcher Maßnahmen vor. Die verfügbaren Ergebnisse geben Anlass, die langfristigen Wirkungen dieser Trainings zu hinterfragen.

Hinzu kommt, dass auch nicht intendierte Effekte eintreten können, wenn die Trainings für die Zielgruppe eben nicht unmittelbar zu besseren Erwerbschancen führen und dadurch Frustration entsteht. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass punktuelle Sofortmaßnahmen nicht ausreichen, um in fragilen Kontexten einen robusten Entwicklungsprozess zu befördern.

Stattdessen erfordert eine dauerhafte Stabilisierung und Konfliktprävention neben der Wiederherstellung von Staatlichkeit mit einem öffentlichen Dienstleistungsangebot und einem verlässlichen öffentlich-rechtlichen Handlungsrahmen vor allem auch Wirtschaftsentwicklung inklusive einer soliden Qualifizierung der Menschen für deren Arbeitsleben.

Berufsbildung als integrierter Ansatz

Aus den bisherigen wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnissen ergeben sich einige grundsätzliche Empfehlungen für Berufsbildung in fragilen Kontexten:

Verstärkter Einsatz strukturbildender Ansätze, um eine intensivere Begleitung von jungen Menschen zu ermöglichen und ihnen eine adäquate Ausbildung auf einem arbeitsmarktrelevanten Qualitätsniveau anzubieten. Dies erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der neben der eigentlichen Berufsbildung das psychosoziale Wohlergehen und Qualifikationen wie Alphabetisierung, Sprachkenntnis, Menschenrechte und so weiter einschließt.

Darüber hinaus ist eine Verknüpfung von Berufsbildung mit Projekten zum Wiederaufbau und zur Wiederankurbelung der Wirtschaft sinnvoll, um Beschäftigung zu schaffen. Durch die integrierte Förderung kann Berufsbildung praxisnah und nachfragegemäß angeboten werden. Zugleich ergeben sich Möglichkeiten der Formalisierung beziehngsweise Anerkennung beruflicher Qualifikationen und der Qualitätssteigerung der Arbeitsprozesse.

In Ländern mit einem hohen Ausmaß informeller Wirtschaftstätigkeit muss Beschäftigungsförderung und Berufsbildung zwangsläufig den informellen Sektor adressieren. Das kann verschiedenes bedeuten: Zum einen muss die Trennung zwischen formaler und non-formaler Berufsausbildung aufgehoben werden. Dies erfordert eine Anerkennung bestehender Kenntnisse und Fertigkeiten sowie eine Durchlässigkeit von Schule und Betrieb. Zum anderen kann es bedeuten, dass eine Berufsschule als "Technologiezentrum" genutzt wird, wo der informelle Sektor der Umgebung entweder Fortbildungen wahrnehmen und Werkstätten benutzen kann, oder ein Forum zur Präsentation und Vernetzung seiner Dienstleistungen findet.

Fazit

Angesichts der Dauerhaftigkeit von Krisen und fragilen Zuständen wird es zunehmend wichtiger, die Dichotomie zwischen Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit aufzulösen und mit langfristig-strukturbildenden Ansätzen der Berufsbildung zu arbeiten. Nachhaltige Berufsbildung ist in fragilen Kontexten als Teil einer breiten Strategie der Stabilisierung, Friedensentwicklung und Resilienz zu verstehen. Sie kann sowohl zur Erlangung fachlicher Kompetenzen und wirtschaftlicher Handlungsfähigkeit beitragen, als auch zur Wiedereinführung von friedlicher "Normalität".

Eine Kombination mit Beschäftigungsförderung und Wirtschaftsentwicklung kann Perspektiven für eine bessere Zukunft eröffnen, sofern langfristig produktive Beschäftigung geschaffen wird. Dies wiederum erfordert die nachhaltige Entwicklung des Arbeitsmarktes des betroffenen Landes. Ansonsten besteht selbst bei integrierten Ansätzen die Gefahr, keine dauerhafte Wirkung zu entfalten.

  • Autoren: Dr. Nicole Rudner, Dr. Stefan Wolf

Quelle: KfW, kfw.de, KfW Research, Entwicklungspolitik Kompakt, 08.11.2018