Bildungsmarkt Indien: Das Budget und die Berufsbildung

Der Februar gehört traditionell zu den Aktivzeiten der politischen Analysten in Indien. In diesen Wochen stellt die Regierung ihren Haushalt für das am 1. April beginnende Finanzjahr vor. Wo sonst lassen sich die politischen Leitlinien der Regierungspolitik deutlicher verfolgen als in den Budgetzuteilungen für die einzelnen Ressorts?

Zu denen, die den Ankündigungen des Finanzministers besonders aufmerksam folgten, gehörten auch dieses Jahr die privaten Bildungsträger. Den Löwenanteil ihrer Umsätze generieren sie aus den staatlichen Fördertöpfen für die beruflichen Bildungsprogramme. Aus ihnen finanziert die Regierung seit einigen Jahren vornehmlich Kurzzeitmaßnahmen, die eine schnelle Vermittlung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen sollen. Qualitativ lassen die Kurse viel zu wünschen übrig, was zunehmend auch von der Wirtschaft moniert wird.

Aber angesichts der rund zwölf Millionen Jugendlichen, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt drängen, kann die Politik auf diese Option des "Speed and Scale", der Beschleunigung und Ausweitung der Reichweite, nicht verzichten − solange noch keine alternativen Strukturen zur Verfügung stehen, die diese Jugendlichen auffangen können.

Chancen für private Bildungsanbieter

So werden die privaten Bildungsfirmen auch in diesem Jahr wieder zufrieden sein können. Neben einem bereits 2016 beschlossenen Refinanzierungsprogramm für berufliche Kurzzeitmaßnahmen, für das die Finanzmittel bereits bis 2020 in den "National Skill Development Fund" eingestellt wurden, verkündete Berufsbildungsminister Rajiv Pratap Rudy auch für das neue Finanzjahr Gutes.

Das Netz der "Pradhan Mantri Kaushal Kendras", der auch schon begrifflich dem Ministerpräsidenten zugeordneten Schulungszentren für die Realisierung des Programms, soll von bisher 60 auf 600 erweitert werden. 100 davon sollen als "India International Skill Centres" fortgeschrittene Kurse anbieten, die Beschäftigungschancen im Ausland eröffnen sollen.

Neu ist das mit insgesamt 40 Milliarden Rupien ausgestattete Programm "SANKALP" (Skill Acquisition and Knowledge Awareness for Livelihood Promotion Programme), durch das bis zu 35 Millionen Jugendliche in den Genuss einer beruflichen Schulung kommen sollen.

Größeres Augenmerk erhalten auch die traditionellen Einrichtungen der Berufsbildung: die circa 2.200 staatlichen "Industrial Training Institutes" (ITI) und das Ausbildungssystem für Auszubildende, das seit 1961 durch den "Apprenticeship Act" geregelt ist. Nach einer durchgreifenden Gesetzesreform soll die berufliche Bildung von Auszubildenden stärker in den mittelstandsgeprägten Industrieclustern verankert werden.

Unter Einbindung der ITI wird damit die Entfaltung von dualen Berufsbildungsprozessen angestrebt. Langfristig sollen dadurch auch jene nachhaltigen Berufsbildungskapazitäten in der Wirtschaft geschaffen werden, die allein durch überbetriebliche Einrichtungen nicht in ausreichender Quantität vorgehalten werden können. Gefördert werden soll diese Entwicklung durch das "STRIVE"-Programm (Skill Strengthening for Industrial Value Enhancement), das von der Weltbank kofinanziert und mit 22 Milliarden Rupien ausgestattet wird.

Paradigmenwechsel zeichnet sich ab

Bei einem Gesamtbudget von gut 21 Billionen Rupien klingen diese Zahlen vielleicht nicht sonderlich beeindruckend, was auch viele indische Experten monieren. Aber die damit angestrebten Neuausrichtungen in der indischen Berufsbildungslandschaft deuten auf einen beginnenden Paradigmenwechsel hin, der auch für die deutschen Anbieter beruflicher Bildungsdienstleistungen interessant sein könnte.

Der seit Beginn der Reformbemühungen 2008 deutlich gewordene immense Bedarf an moderner Berufsbildung hatte viele internationale Akteure auf den Plan gerufen. Die Mehrzahl der Geschäftsanbahnungen lief jedoch in den vergangenen Jahren ins Leere.

Einerseits wurde die Finanzkraft des indischen Berufsbildungsmarktes schlicht überschätzt. Andererseits wurde der Markt in rasender Geschwindigkeit von den indischen Bildungsträgern erobert, die wie Pilze aus dem Boden schossen und sich in der Mehrzahl mit wenig anspruchsvollen Maßnahmen, die oft von korrupten Praktiken begleitet wurden, fest etablierten. Damit blieb wenig Raum für ausländische Anbieter hochwertiger Bildungsleistungen, zumal die führenden indischen Berufsbildungsinstitutionen eher für eine Abschottung "ihres" Marktes standen.

Der "Wind of Change", den viele Akteure noch als laues Lüftchen wahrnehmen, wird sich aber bald in einen Sturm verwandeln. Die harsche Kritik aus der Wirtschaft an der mangelhaften Qualität und faktischen Wirkungslosigkeit der staatlich finanzierten Schulungsmaßnahmen wird von der Regierung immer ernster genommen. Die verstärkte Ausrichtung auf die internationale Arbeitsmarktnachfrage erhöht den Druck auf die Bildungsanbieter – ob staatlich oder privat – zusätzlich, sich mehr an internationalen Standards zu orientieren.

Dies spiegelt sich auch in der wachsenden Zahl von konkreten Anfragen im iMOVE-Büro Delhi wider, in denen Bildungsträger dezidiert nach modernen Inhalten und Methoden beruflicher Bildung fragen, die auf dem deutschen dualen System beruhen. Die ersten Besuche bei deutschen Partnern haben bereits stattgefunden.

Wachsende Nachfrage in den Unternehmen

Eine zwar oft noch diffuse, aber wachsende Nachfrage baut sich in den Unternehmen selbst auf. Der Anteil der Unternehmen, die sich aus eigenem Antrieb mit Fragen der beruflichen Bildung auseinandersetzen, soll sich in den letzten Jahren auf etwa 35 Prozent verdoppelt haben.

Oft sind dabei existenzielle Fragen wie eine unzureichende Produktivität oder mangelhafte Qualität die Steine des Anstoßes, vor allem bei Firmen, die in internationale Wertschöpfungsketten hineingewachsen sind. Zusätzlich befeuert wird diese Tendenz durch die seit 2013 bestehende gesetzliche Verpflichtung für größere Unternehmen, zwei Prozent ihrer Nettogewinne für Maßnahmen der "Corporate Social Responsibility" (CSR) auszuweisen. Viele der CSR-Ausgründungen haben inzwischen auch aus wohlverstandenem unternehmerischem Eigeninteresse "Skill Development" als lohnenden Zweck definiert.

Im indischen Budget steckt außerdem mehr für die Berufsbildung als die Posten, die dem Ministerium für Berufsbildung (Ministry of Skill Development and Entrepreneurship, MSDE) zugewiesen wurden. Nach wie vor befassen sich 20 weitere, vor allem wirtschaftsleitende Ministerien mit Fragen der Berufsbildung. Seien es die Ministerien für Landwirtschaft, für die ländliche Entwicklung oder die Stadtentwicklung, für das Eisenbahnwesen oder die Energiewirtschaft – in allen Einzelbudgets stecken Haushaltsposten, die für Personalentwicklung, den Aufbau von Kompetenzzentren und ähnliche Zwecke ausgewiesen sind. Im Fokus stehen inzwischen auch "systemrelevante" staatliche Sektoren wie der Werkzeugmaschinenbau, der den internationalen Anschluss seit Langem verloren hat und mit hohem finanziellem Einsatz wieder an das Weltniveau herangeführt werden soll.

Letztlich hängt daran auch der Erfolg der von Premierminister Narendra Modi vorangetriebenen Kampagne "Make in India" zur Stärkung der eigenen verarbeitenden Industrie. Moderne berufliche Ausbildung wird dafür ein Schlüsselelement sein und Deutschland wird ein Wunschpartner der indischen Regierung bleiben.

Es ist lohnenswert für die deutschen Akteure in der beruflichen Aus- und Weiterbildung, die Entwicklungen auf diesem volatilen, vielschichtigen und nicht einfachen Markt weiter zu verfolgen und sich auf die komplexen Herausforderungen einzustellen.

Fachartikel Bildungsmarkt Indien

Dieser Fachartikel ist dem aktuellen iMOVE-Exportmagazin xPORT (Ausgabe 1/2017) entnommen, das Ende April 2017 erschienen ist.

  • Autor: Jürgen Mannicke

iMOVE-Exportmagazin xPORT

Titelbild, Text: xPORT Das iMOVE-Exportmagazin
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Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT - Das iMOVE-Exportmagazin, Ausgabe 1 / April 2017