Bildungsmarkt Russland: Chancen für deutsche Bildungswirtschaft

Der russische Markt ist mit über 140 Millionen Menschen sehr attraktiv für Anbieter der beruflichen Aus- und Weiterbildung aus Deutschland. Lesen Sie den Artikel über Anknüpfungspunkte und Chancen für die Angebote der deutschen Bildungswirtschaft, der ein Auszug aus der neuen iMOVE-Marktstudie Russland ist.

Blick durch ein Metallrohr auch eine Frau, die am anderen Ende steht
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Neben den urbanen Zentren Moskau und Sankt Petersburg gibt es weitere Regionen mit relativ hohem Lebensstandard, in denen zahlungskräftige Unternehmen Fachkräfte nachfragen. Dazu gehören vor allem Regionen, in denen Rohstoffe gefördert werden.

Durch die langjährige deutsch-russische Kooperation im Berufsbildungssektor ist das deutsche duale Ausbildungssystem in Russland bekannt geworden und erfreut sich eines hohen Ansehens. Da Verantwortliche aller Ebenen qualifizierte Fachkräfte für die Basis eines starken Mittelstandes halten, arbeitet die Regierung mittels Reformen und Gesetzesentwürfen daran, die Voraussetzungen für ein systematisches und landesweites duales Ausbildungssystem zu schaffen.

Vor diesem Hintergrund genießen deutsche Bildungsanbieter einen Vertrauensvorschuss, der es ihnen möglich macht, im russischen Bildungsmarkt leichter Fuß zu fassen. Überdies ist die Bereitschaft russischer Bildungseinrichtungen auf allen Ebenen mit ausländischen Partnern zu kooperieren hoch, da sich solche internationalen Kooperationen in Russland positiv auf die zahlreichen Hochschulrankings und auf die Reputation von jeweiligen Akteuren auswirken.

Alle für die iMOVE-Marktstudie interviewten Expertinnen und Experten schätzten die Marktchancen für deutsche Bildungsanbieter als hoch ein und beurteilen das deutsche Ausbildungssystem als ein für die Russische Föderation anwendbares und zielführendes Konzept.

Während der Sowjetunion fand die Lehre größtenteils in Form des Frontalunterrichtes statt, Lehrmethoden wie Gruppenarbeit, Präsentation oder Diskussionen fehlten fast gänzlich. Obwohl sich dies zunehmend ändert, richten viele Lehrkräfte, gerade diejenigen in höherem Alter, ihren Unterricht weiterhin frontal aus. Der tendenziell geringe Praxisanteil bei Aus- und Weiterbildungsangeboten in der russischen Föderation führt zu einem großen Bedarf an Wissenstransfer von der Theorie in die Praxis sowie an Lehrmethoden, die den Austausch mit Gleichgesinnten erlauben. Praxisorientierte Aus- und Weiterbildungsangebote, wie die der Ernst & Young Training Academy Sankt Petersburg, sind deshalb in der Rusischen Föderation erfolgreich.
 

Attraktive Branchen und Berufsfelder für Berufsbildungsangebote

Bei der Erstellung von Bildungsangeboten und konkreten Berufsbildungskonzepten können sich deutsche Anbieter an Branchen und Berufsfeldern orientieren, die aktuell auf der politischen Agenda priorisiert werden und für die derzeit großer privatwirtschaftlicher Bedarf besteht. Hierzu können sowohl die Liste der Top-50 nachgefragten Berufe als auch die im Wettbewerb WorldSkills vertretenen Disziplinen herangezogen werden.

Auch aus der Beobachtung des politischen Diskurses und der wirtschaftlichen Entwicklungen ergeben sich interessante Erkenntnisse für ausländische Bildungsanbieter. So ist es beispielsweise erklärtes Ziel der Russischen Föderation, ab 2019 in den russischen Universitäten bedeutend mehr Programmiererinnen und Programmierer auszubilden. Informationen wie diese können als Grundlage für die Konzeption von Bildungsangeboten dienen, indem deutsche Organisationen beispielsweise die Ausbildungsprogramme russischer Hochschulen mit Zusatzangeboten komplementieren.

Auch beim Ausbildungsangebot in sehr innovativen Branchen und neuen Berufsfeldern ergeben sich durch bestehende Marktlücken Chancen für deutsche Bildungsanbieter. Neben diesen Entwicklungen in High-Tech-Branchen und traditionellen Bereichen wie Landwirtschaft und Rohstoffförderung können ergänzend Bedarfe der Sozial- und Gesundheitsbranchen im Aus- und Weiterbildungsbereich diagnostiziert und entsprechend genutzt werden.

Bildungsangebote auf Grundlage technologischen Vorsprungs

Der technologische Vorsprung Deutschlands kann Bildungsanbietern in Russland zugutekommen, denn in der Russischen Föderation besteht Bedarf an Weiterbildungen im Bereich moderner Technologien. Trotz der Lokalisierungspolitik wird ein großer Prozentsatz der in russischen Unternehmen verwendeten Technologien, Rohstoffe und Materialien aus dem Ausland bezogen. Ein beachtlicher Anteil davon kommt aus Deutschland.

Gemäß Angaben des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) wurden 2017 Maschinen und Anlagen im Wert von 5,3 Milliarden Euro aus Deutschland in die Russische Föderation verkauft. Damit lag Russland auf Platz neun der wichtigsten Absatzmärkte für deutsche Maschinenbauer. Um diese Technologien effizient einsetzen und betreiben zu können, bedarf es ausgebildeter Fachkräfte.

Deutsche Erstausrüsterinnen und Erstausrüster (Original Equipment Manufacturer, OEM) sind in Russland bekannt und ihre Produkte werden geschätzt. Daher können junge Ingenieurinnen und Ingenieure ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt mithilfe von Zertifikaten ausländischer OEMs bedeutend steigern. Dies gilt sowohl im Software- als auch im Maschinenbaubereich. Unternehmen buchen deshalb Inhouse-Schulungen von Akademien technologisch führender Unternehmen oder entsenden Teile der Belegschaft auf eigene Kosten für den Praxiserwerb ins Ausland. In Fällen in denen diese Aus- und Weiterbildungen nicht bereits Teil der Kooperationsverträge zwischen deutschen und russischen Unternehmen sind, können deutsche Bildungsanbieter diese Leistungen übernehmen.

Neben den hier benannten privat finanzierten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen gibt es auch staatlich geförderte Programme. Russische Delegationen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Administration und Wirtschaft reisen häufig ins Ausland, um sich über aktuelle Themen wie Industrie 4.0 und Digitalisierung zu informieren und Geschäftspartnerschaften anzubahnen. Solche Delegationsreisen werden teilweise durch die politischen Förderprogramme beider Länder umgesetzt.

Hierzu zählen beispielsweise das Markterschließungsprogramm oder das Managerfortbildungsprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Im Rahmen dieser Reisen wird der deutsch-russische Austausch von Managerinnen und Managern und Führungskräften gefördert. Auch auf regionaler Ebene gibt es in Russland und in Deutschland entsprechende Förderprogramme, die Weiterbildungsreisen finanziell fördern (unter andere bayrisches Außenwirtschaftsförderprogramm).

Fachartikel Anknüpfungspunkte für Bildungsanbieter

Dieser Fachartikel ist ein Auszug aus der iMOVE-Marktstudie Russland, Kapitel 5.1, die im November 2019 erschienen ist.
 

  • Inhalt der Marktstudie: enviacon GmbH
  • Autorinnen der Marktstudie: Vera Thülig, Charlotte Schuchard, Inga Markwart
zwei junge Männer arbeiten an einer Apparatur

Bei den EuroSkills 2018 in Budapest

Angebote im Bereich lebenslanges Lernen

Viele Russinnen und Russen bilden sich auch aus eigenem Antrieb privat weiter und investieren in Kurse externer Anbieter. Hier können deutsche Bildungsanbieter mit Angeboten zur Vertiefung von Fremdsprachenkenntnissen und Soft Skills (persönliche, soziale und methodische Kompetenzen) punkten.

Gute Fremdsprachenkenntnisse sind zudem für karriereversierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unabdinglich. Unternehmen finanzieren daher branchenübergreifend den Fremdsprachunterricht für Fachkräfte. Dabei nimmt der Erwerb von technischen und unternehmensspezifischen Vokabeln einen hohen Stellenwert ein. Der Bereich Fremdsprachen, insbesondere unter Einbezug innovativer Lernmethoden, ist aber nicht nur für Erwachsene interessant. In Russland ist es üblich, dass Kinder schon in jungem Alter Sprachunterricht erhalten. Im Bereich der Soft Skills gelten Kommunikationsfähigkeit und Zeitmanagement als wichtige Kompetenzen.

Russische Firmen und ihr Personal sind überdies daran interessiert, moderne Führungs- und Managementmethoden kennenzulernen und entsprechende Kompetenzen auszubauen. Von besonderem Interesse sind im Ausland entwickelte Methoden und Trendthemen.

Ein weiteres wichtiges Thema ist Effizienzsteigerung. Russischen Führungskräften ist bekannt, dass die Produktivität von Arbeitskräften in der Russischen Föderation deutlich unter dem OECD-Schnitt liegt und folglich Nachholbedarf besteht. So belegen Analysen der internationalen Organisation, dass Angestellte in russischen Unternehmen pro Arbeitsstunde nur etwa die Hälfte des durchschnittlichen Bruttoinland-Beitrages der OECD-Länder erwirtschaften. Damit gehört die Arbeitsproduktivität in Russland zu den geringsten unter den führenden Wirtschaftsländern.

Die Effizienzsteigerung in russischen Unternehmen ist im Rahmen der Modernisierung der Wirtschaft auch ein aktuelles politisches Thema. Deshalb fällt das Interesse an Themen wie kooperativem Führen, Team Building, agilem Management und Lean-Management bei russischen Managerinnen und Managern in der Regel hoch aus.
 

Berufliches Lehrpersonal, betriebliche Ausbilder und Qualitätssicherung

Mit der Einführung der Berufsstandards und Vorgaben für betriebliche Ausbilderinnen und Ausbilder nach Vorbild der deutschen AEVO ergibt sich die Notwendigkeit zur Aus- und Weiterbildung von Berufsschullehrpersonal und betrieblichen Ausbildungsträgern. Deutsche Bildungsanbieter können mit Erfahrung und Expertise auf diesem Gebiet überzeugen.

Die deutschen AHKn setzen das eigens entwickelte Konzept zur AdA bereits in vielen Ländern um. Der russische Markt ist jedoch hinsichtlich fachlicher und methodischer Weiterbildungsangebote für Lehrpersonal vor allem durch heimische Anbieter bestimmt. Die Zusammenarbeit mit ausländischen Ausbildungsstätten kann russischen Berufsschulen auch im Bereich der Weiterbildung von Lehrpersonal helfen, ihre Reputation zu steigern. Einige Berufsschulen schicken Lehrpersonal schon heute zu Studienreisen ins Ausland, um deren Kenntnisse zu erweitern. Teilweise finden solche Studienreisen auf Initiative der regionalen Regierungen statt.

Der Bereich der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften unterliegt in der Russischen Föderation jedoch einer strengen Kontrolle durch Behörden, weshalb für ausländische Anbieter in diesem Bereich Hürden bestehen. Mit einem starken lokalen Partner können deutsche Bildungsanbieter hier aber attraktive Zusatzangebote konzipieren. Interessante Themenbereiche können beispielsweise die moderne Ausrüstung für Berufsschulen oder die Schulung von Lehrpersonal im Hinblick auf Handhabung neuester Technik darstellen und entsprechende Wettbewerbsvorteile generieren.

Wird die Ausbildung von betrieblichen Ausbilderinnen und Ausbildern verpflichtend beziehungsweise treten die geplanten Vorgaben in Kraft, entstehen in diesem Bereich Potenziale für ausländische Bildungsunternehmen. Insbesondere für russische Firmen, die bereits duale Ausbildungsformate durchführen, können Angebote zur Ausbildung der Ausbilder von deutschen Anbietern sehr interessant sein, da für sie Erfahrung und Praxisbezug im Vordergrund stehen.

Großunternehmen, die im Bereich der dualen Ausbildung involviert sind, stellen eine vergleichbar zahlungskräftige Zielgruppe dar. Auch kann hier eine Kombination mit Schulungen zu Produktionsmaschinen und der Bereitstellung technischer Lernausrüstung deutschen Dienstleistungsunternehmen im Bildungsbereich einen Vorteil sichern. Von der Unterstützung bei der Konzeption von Prüfungsmaterialien bis hin zur Prüfungsvorbereitung könnten deutsche Firmen ihre Expertise einbringen. Ebenso könnten sich deutsche Beraterinnen und Berater in Prüfungskommissionen engagieren.

drei Frauen in weißen Kitteln arbeiten an Tisch auf dem Reagenzgläser stehen
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Kooperation mit russischen Bildungsanbietern

Russische Bildungsanbieter sind generell sehr offen für verschiedene Arten der Kooperation mit ausländischen Unternehmen. Einige russische Hochschulen bieten bereits Studiengänge mit Doppelabschluss an, die nach einem anteilig an der russischen und an der ausländischen Hochschule absolvierten Studium zu beiden nationalen Abschlüssen führen.

Bildungseinrichtungen im akademischen Bereich und im Sekundarbereich kooperieren regelmäßig hinsichtlich der Organisation von Auslandssemestern sowie Ausbildungs- und Praxisphasen in Deutschland mit deutschen Partnern. Über die Einbindung deutscher Expertinnen und Experten in die Gestaltung von Ausbildungsplänen und die Qualitätskontrolle der Ausbildung bis hin zur Nutzung deutscher Ausrüstung und Technologien im Prozess der Ausbildung gibt es zahlreiche Beispiele für die erfolgreiche Kooperationen zwischen deutschen und russischen Ausbildungsanbietern.

Einige Bildungsanbieter in der Russischen Föderation nutzen die Kooperation mit ausländischen Unternehmen als Aushängeschild, wobei sich die Kooperation teils auf wenige Besuche der ausländischen Partner beschränkt. In vereinzelten Fällen werden in der Russischen Föderation Aus- und Weiterbildungen von russischen Weiterbildungsunternehmen unter dem Namen einer bekannten ausländischen Marke angeboten, ohne dass die Bildungseinrichtung im Besitz der Lizenz der ausländischen Marke ist oder die Qualitätskriterien der ausländischen Ausbildungen erfüllt.

[...] Bei der Verhandlung über Inhalte der Kooperation sollten Pflichten und Verantwortungen sowie für beide Seiten realistische Leistungen ausführlich definiert werden. Es empfiehlt sich, auch die finanziellen Rahmenbedingungen der Kooperation von Beginn an zu klären. Die Feinheiten der Zusammenarbeit sollten in einem Vertrag festgehalten werden, der von deutschen und lokalen Juristen geprüft ist.

Auch die Preisgestaltung für/der Bildungsangebote sollte für beide Seiten und für den Kunden transparent sein. So kann verhindert werden, dass der russische Partner mit überteuerten und qualitätsschwachen Angeboten die Reputation des ausländischen Partners schädigt.
 

Hindernisse beim Markteintritt

Der russische Markt weist in den letzten Jahren verstärkt protektionistische Tendenzen auf. Durch festgelegte Standards, notwendige Lizenzen und andere Maßnahmen zum Schutz der inländischen Wirtschaft sind ausländische Unternehmen bei ihrer Geschäftstätigkeit in Russland heutzutage eingeschränkter als in den frühen Jahren nach der Jahrtausendwende.

Das Lokalisierungsprogramm der Regierung der Russischen Föderation, das russische Produzenten dazu verpflichtet, so viele Produkte wie möglich von heimischen Herstellern zu beziehen, hat auch Auswirkungen auf den Aus- und Weiterbildungsmarkt. Unter anderem verringert sich der Bedarf an Schulungen für den Umgang mit ausländischen Produkten und Technologien.

Die für die Studie interviewten Expertinnen und Experten sehen die größten Hindernisse für den Markteintritt in Bezug auf bürokratische Hürden und häufige Änderungen der Regularien. Auch die starke Kontrolle, die durch Ministerien, Aufsichtsbehörden und lokale Handelskammern im Bildungsbereich ausgeübt wird, könnte den Markteintritt und die weiterführende Bildungstätigkeit auf dem russischen Markt erschweren.

Eine weitere Herausforderung für Dienstleister im Bereich Bildung ist das niedrige Einkommensniveau in der Russischen Föderation. Da Einkommen in Russland niedriger als in Deutschland sind, müssen deutsche Bildungsanbieter darauf achten, preislich wettbewerbsfähig zu sein. Zudem stellen die starken Kursschwankungen eine weitere Herausforderung für ausländische Unternehmen dar.

Neben diesen wirtschaftlichen und rechtlichen Hürden sind nach Meinung der für die iMOVE-Markstudie interviewten Personen, auch die kulturell bedingten Mentalitätsunterschiede nicht zu unterschätzen. Daher ist es für deutsche Unternehmen unabdinglich, sich im Hinblick auf Vorgaben und kulturelle Divergenzen ausführlich zu informieren und langfristige Kooperationen mit verlässlichen lokalen Partnern anzustreben.


Quelle: iMOVE, Artikel aus der iMOVE-Marktstudie Russland für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, 2019