Der Prophet und der Berg

Incoming und Outgoing – beide Optionen bieten Vor- und Nachteile für Bildungsexporteure. Lesen Sie den Artikel von Thorsten Trede, APPLICATIO Training & Management GmbH, aus der aktuellen xPORT-Ausgabe.

Strichzeichnung einer Gebirgslandschaft

Kommen sie oder gehen wir? 

Die Entscheidung für "Incoming" oder "Outgoing" bietet viel Diskussions-, wenn nicht sogar Streitpotenzial, weil jeder Bildungsanbieter seine Präferenzen – oft je nach eigenen Möglichkeiten und Interessen – hat. Die beiden Begriffe, die ursprünglich aus der Tourismusbranche stammen, stehen ganz einfach für die Frage: "Kommen die Lernenden zu uns oder gehen wir zu ihnen?", die sich jeder Bildungsanbieter spätestens bei Aufnahme seiner Geschäftstätigkeit stellen muss.

Führen wir unsere Aus- und Weiterbildungen in Deutschland im eignen Bildungszentrum oder in der eigenen Werkstatt durch (INcoming) oder reisen die Trainerinnen  und Trainer in die Heimatländer der Lernenden (OUTgoing)? Beide Optionen sind Formen des Bildungsexports, denn das Ergebnis der Leistung, die durch Bildung erworbene Kompetenz, wird am Ende nicht in Deutschland zur Verfügung stehen, weil wir als Aus- und Weiterbilder dazu beitragen, dass sie entweder im Zielland entsteht oder dass die Lernenden das Wissen und Können mit in ihre Heimat nehmen.

Der Berg…

Betrachtet man das Ganze zunächst einmal aus Sicht des Bildungsanbieters, stellt sich die Frage, warum eine Aus- oder Weiterbildung für Teilnehmende aus dem Ausland angeboten werden soll. Was beabsichtigt der Bildungsdienstleister neben der Vermittlung von Wissen und der Erzielung von Einnahmen für die Bildungsdienstleistung? Geht es darum, die eigene Infrastruktur auszulasten (siehe Beispiel: Mongolische Tischler)? Geht es darum, ein möglichst authentisches Deutschlandbild und eine langfristige Bindung zu Deutschland zu schaffen (siehe Beispiel: Südafrikanische Manager)? Oder soll die Ausfuhr von Maschinen, Ausstattungen und Materialien unterstützt werden (siehe Beispiel: Exportförderung)? Steht vielleicht sogar die Erzielung von direkten Einnahmen gar nicht im Vordergrund?

Beispiel: Mongolische Tischler

Eine Bildungseinrichtung mit eigener Lehrwerkstatt war in der Finanzkrise – wie so viele – nicht mehr ausgelastet. Auf dem deutschen Markt waren kaum Lernende zu akquirieren. So entstand die Idee, Handwerker für die Mongolei auszubilden – ein Land, in dem es massiv an qualifizierten Handwerkern und an Möglichkeiten mangelt, eine entsprechende Qualifikation zu erlangen. Schnell war die Idee geboren, 20 Personen zwei Jahr lang im eigenen Bildungszentrum mit angeschlossenem Hostel auszubilden.

Bedarf bestand, das stand außer Frage, Möglichkeiten auch und Erfahrungen mit dem Land hat die Bildungseinrichtung bereits anderweitig gesammelt. Am Ende scheiterte das Projekt daran, dass die Lernwilligen erst einmal hätten Deutsch lernen und dann den langen Aufenthalt zusätzlich zur Ausbildung hätten finanzieren müssen. Der Gesellenbrief wurde damit aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer teurer als ein Studium in den USA. Die Aussichten auf ein gesichertes Einkommen mögen mit dem Gesellenbrief sogar besser gewesen sein, aber das höhere Ansehen der akademischen Ausbildung zusammen mit den geringeren Kosten gab wohl oft (leider) den Ausschlag.

Beispiel: Südafrikanische Manager

Im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit finanzierte die damalige Organisation InWEnt, die inzwischen in der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ aufgegangen ist, unter anderem zwölfmonatige Fortbildungen für Junior-Manager aus Subsahara-Afrika in Deutschland. Nach einem Sprachkurs im Heimatland reisten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, vertieften ihre Sprachkenntnisse und besuchten fünfmonatige Seminare. Dann folgte ein Betriebspraktikum von drei Monaten Dauer und eine Abschlussarbeit über ein Projekt, das sie nach ihrer Rückkehr in der Heimat umsetzen wollten. Das Ziel: Bildungsexport, Förderung der Partnerländer durch Kapazitätsaufbau und "Bindung an Deutschland". Noch heute besteht Kontakt zu den Absolventinnen und Absolventen, noch heute beziehen sie für ihre Arbeitgeber Maschinen aus Deutschland und noch heute bewerben sie Deutschland als guten wirtschaftlichen Partner.

Beispiel: Exportförderung

Nicht wenige Anbieter von Baumaterialien oder Innenausstattungen – angefangen beim Trockenbau bis zum Bereich Sanitär und Heizung – bieten auch Aus- und Weiterbildungen an. Das Ziel: Bindung an die eigenen Produkte und an die eigene Marke und Förderung des Exports der eigenen Produkte. 

Diese Maßnahme hat weniger das Ziel, die eigene Infrastruktur zu nutzen, und ist damit wesentlich flexibler in der Frage des Durchführungsorts. Der "Return on Investment" umfasst hier wesentlich mehr als die Bezahlung für die Bildungsmaßnahme.

Der Prophet…

Aus Sicht der Teilnehmenden stellen sich verschiedene Fragen, die wir als nachfrageorientierte Bildungsanbieter mit unserem Angebot beantworten müssen. Was kostet mich das Ganze? Welche Sprachkenntnisse brauche ich, welche Vorkenntnisse? Bekomme ich überhaupt eine Aufenthalts- oder gar Arbeitserlaubnis? Was ist mit meiner Familie, der Trennung von ihr und ihrem Unterhalt? Strebe ich einen formalen Abschluss an oder "nur" eine kurze Weiterbildung mit oder ohne Zertifikat? Möchte ich über die reine Aus- und Weiterbildung hinaus noch andere Erfahrungen sammeln? 
All diese Fragen und ihre Beantwortung müssen Bildungsanbieter antizipieren, um darauf basierend ein passendes Angebot zusammenstellen zu können. Bei vielfältigen und sehr umfassenden Bedarfen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer kann ein solches Maßnahmenpaket auch aus zahlreichen Einzelaufgaben und Services sowie Partnerschaften vor Ort bestehen, die möglichst nahtlos ineinandergreifen sollten (siehe Beispiel: Kammer- und Verbandsförderung).

Beispiel: Kammer- und Verbandsförderung

Neben vielen privaten Anbietern bietet die sequa mit ihrem Kammer- und Verbandspartnerschaftsprogramm in vielen Projekten Weiterbildungen vor Ort über die in die Projekte einbezogenen deutschen Handels- und Handwerkskammern sowie Verbände an. Meisterinnen und Meister, überbetriebliche Ausbilderinnen und Ausbilder und andere Fachleute reisen in die Zielländer und führen Lehrgänge durch. Oft werden ganze Schulungszentren im Aufbau unterstützt, Curricula entworfen, Lehrwerkstätten ausgestattet und lokale Trainerinnen und Trainer fortgebildet … ein klares Plus für die Nachhaltigkeit!

Berg und Prophet

Am Ende lässt ich nicht pauschal entscheiden, was besser ist, Incoming oder Outgoing. Klar definieren lässt sich aber, dass die Ziele und Möglichkeiten des Bildungsexporteurs mit den Absichten und Bedarfen der Zielgruppe in Einklang gebracht werden müssen. Vergleichen wir zum Abschluss (vielleicht als Entscheidungshilfe) zwei Fälle von Incoming und Outgoing und beleuchten die Vor- und Nachteile:

Kurzer Kurs (1-2 Wochen)

Für viele Zertifikate (z. B. als Nachweis für einen Schweißlehrgang), wie sie zahlreich in Deutschland angeboten werden, reicht eine kürzere Weiterbildung aus. Diese als Incoming-Angebot zu gestalten, hat den Vorteil, dass die Ausrüstung des Anbieters vollständig vorhanden ist und verwendet werden kann. Zusätzliche Praxisanteile, aber auch "Ausflüge" können die Attraktivität des Bildungsangebots steigern. Die Teilnehmenden können die Möglichkeit nutzen, neben der reinen fachlichen Weiterbildung mehr von Deutschland zu sehen und über das Land zu erfahren, was dann aber auch mit höheren Kosten verbunden ist. Die Sprachbarriere kann mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern überwunden werden, wenn nötig.

Als Outgoing-Angebot kann solch ein Kurs nur dann angeboten werden, wenn vor Ort ein Partner existiert, der die Ausstattungen vorhält. Dafür können die Kosten für die Teilnehmenden niedriger gehalten werden und die Lehrkräfte des deutschen Anbieters können neue Erfahrungen sammeln und einen Einblick in das Gastland und die lokale Marktlage erlangen, um neue Partnerschaften schließen.

Längere Aus-/Weiterbildung

Für einen Gesellen- oder Meisterbrief oder eine längere Weiterbildung sieht die Lage teilweise anders aus: Die Kosten für die Teilnehmenden sind bei Incoming-Konzepten vergleichsweise hoch, dafür bieten sich aber interkulturell bei einem Aufenthalt in Deutschland über so lange Zeit ganz andere Möglichkeiten. Der Anbieter wiederum kann außerdem seine Infrastruktur nachhaltig auslasten. Allerdings müssen sich die Teilnehmenden sehr grundsätzliche Fragen stellen: Wie aber die Familie versorgen? Ist der Arbeitsplatz nach Abschluss noch vorhanden und sicher?

Für ein Outgoing-Angebot mit längerfristigen Aufenthalten im Ausland ist für den deutschen Anbieter ein Partner oder gar eine Vertretung vor Ort unerlässlich, um das Konzept erfolgreich umzusetzen. Zahlreiche seiner Lehrkräfte können das Gastland besuchen und Eindrücke sammeln, stehen dann aber in festen Zeitfenstern daheim nicht zur Verfügung.

Es ist und bleibt eine strategische Entscheidung!

Tipps für Bildungsanbieter

Eine pauschale Empfehlung zu Incoming oder Outgoing gibt es nicht, die folgenden Tipps können aber helfen, erste Schritte zu gehen:

  1. Eigene Ziele und Möglichkeiten definieren: Definieren Sie für sich klar Ihre Ziele (Warum will ich Bildung exportieren?) und Möglichkeiten (Ort, Zeit, Sprache, notwendige Ausstattung). Oft klärt sich die Frage des Outgoing oder Incoming schon dadurch auf einfache Art und Weise.
  2. Bedarfe und Nachfrage ermitteln: Ermitteln Sie genau die Bedarfe der Zielgruppe (Was soll warum gelernt werden? Geht es nur um Fachliches oder auch um andere Erfahrungen?) und deren Möglichkeiten (Zeit, Finanzen, Rechtliches).
  3. Partnerschaften knüpfen: Knüpfen Sie Kontakte und Partnerschaften im Zielland und lernen Sie dadurch die Zielgruppe besser kennen, damit Sie sie mit Ihren Angeboten besser erreichen können. Was als kleiner Kurs vor Ort beginnt, kann am Ende zu einem großen Programm in Deutschland werden.   

Fachartikel "Der Prophet und der Berg"

Dieser Fachartikel ist dem aktuellen iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 2/2020, entnommen. 

  • Autor: Thorsten Trede, Managing Director, APPLICATIO Training & Management GmbH

xPORT 2/2020

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Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT-Magazin 2/2020