Durch Selbsterkenntnis zur Menschenführung

Die didaktische und methodische Fokussierung auf das Selbstverständnis und die Trainer-Rolle von Ausbilderinnen und Ausbildern kommt bei vielen ToT-Programmen zu kurz. Lesen Sie in einem Artikel aus der aktuellen xPORT-Ausgabe, wie Sie das verbessern können.

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Über eine empathische Haltung gegenüber Lernenden und eine ganzheitliche Wahrnehmung ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung lässt sich die Fähigkeit von Ausbilderinnen und Ausbildern zur erfolgreichen Menschenführung nachhaltig entwickeln und verankern.

"Sie sind fachlich kompetent, die Kolleginnen und Kollegen mögen Sie, hören Ihnen zu, vertrauen Ihnen - na, dann können Sie auch andere trainieren." So oder so ähnlich beginnen nach wie vor viele Trainer- und Ausbilderkarrieren. Aber sehen das die frischgebackenen Ausbildungs- und Lehrkräfte genauso? Spätestens jetzt stellt sich so mache und so mancher die Frage: "Will ich das überhaupt und was verbinde ich mit der neuen Rolle?"

Schaue ich auf meine eigene Laufbahn als Unternehmer mit Führungsverantwortung, Trainer und Coach, so ist mir der oben beschriebene Werdegang alles andere als fremd. Der wesentliche Unterschied liegt allerdings darin, dass ich immer ein Trainer und Begleiter von Menschen, Organisationen und deren Entwicklung sein wollte und bis heute sein will - mit allen Chancen und Herausforderungen, die dieser Beruf bietet.

Rollenverständnis klären

Bei fachlichen Ausbildungen dominiert der technische Anteil. Auszubildende lernen Produktdetails und Produktionsprozesse kennen. Das befähigt aber nicht automatisch zu guter Menschenführung. Ausbildungspersonal muss neben fachlicher, didaktischer und methodischer Kompetenz sein eigenes Rollenverständnis klären.

In meiner Praxis als Trainer für Trainerinnen und Trainer sind mir schon unterschiedlichste Trainertypen begegnet, deren Grundeinstellung sich widerspiegelt in Aussagen wie:

  • Ich stehe vorne, ich habe Recht.
  • Ich habe viel mitzuteilen.
  • Ich bin verantwortlich dafür, dass die Auszubildenden lernen und die Prüfung bestehen.
  • Ich rede und die anderen hören zu.

Immer mehr setzen sich allerdings Trainertypen durch, die

  • Auszubildenden nicht nur in ihrer Trainerrolle, sondern auch als Menschen begegnen
  • die eigenen Verhaltensweisen und die der Teilnehmenden bei ihrer Führungsarbeit berücksichtigen
  • Gruppendynamiken erkennen und lenken
  • Arbeitsstrukturen und Lerninhalte an die Teilnehmenden anpassen
  • Konflikte erkennen und lösungsorientiertes Verhalten steuern
  • sich selbst reflektieren und steuern
  • selbst als Mensch und in ihrer Trainerfunktion immer weiter lernen.

Agilität und Flexibilität

Solche Trainerinnen und Trainer mit sozialer Kompetenz, Empathie und Eigenreflexion werden benötigt und gesucht. Eine rein fachliche Kompetenz reicht nicht mehr aus, um in der Regel gut ausgebildete und kompetente Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Mitmachen und Lernen zu motivieren. Gefragt sind Agilität und Flexibilität, um auf die Lernenden und ihre Wünsche und Bedürfnisse eingehen zu können und um aktuelle Entwicklungen während eines Trainings oder einer Ausbildung weiterführend zu nutzen. Eine Ausbildungskraft muss verstehen, wie seine oder ihre Auszubildenden am besten lernen, um dem vorhandenen Wissen neues hinzufügen zu können.

Vorbildung, kulturelle Prägung und das dazugehörige Wertesystem der Teilnehmenden müssen beim Training für Ausbildungspersonal unbedingt berücksichtigt werden. Diese Kompetenzen und Einstellungen können über Wissenstests und Interviews im Vorfeld ermittelt werden. Diese Maßnahmen bilden die Grundlage für die inhaltliche Gestaltung von Trainerweiterbildungen und die Anpassung vorhandener Standardprogramme und ihre Analyse stellt bereits einen ersten gemeinsamen Lernschritt dar.

Interviews können auf der Grundlage von Fallstudien durchgeführt werden, die sich an der Zielsetzung der Ausbildung orientieren. Daraus lassen sich häufig interessante Erkenntnisse über Sichtweise, Wahrnehmung und Handlungsweise des Teilnehmenden ableiten, die dann im abschließenden Interview genutzt werden können, um Themen zu vertiefen und je nach Ausbildungsstruktur auch Schwerpunktthemen für mögliche Einzel-Coachings abzuleiten.

Raus aus der Komfortzone

Die vorläufige Festlegung und Ausarbeitung der Trainingsinhalte erfolgt dann auf der Grundlage des Weiterbildungsziels und der Ergebnisse aus Wissenstest und Interview. Dem interaktiven Arbeiten muss lebendiges Lernen zugrunde liegen. Die angehenden Ausbilderinnen und Ausbilder müssen aus der jeweiligen Komfortzone gelockt werden, damit sie ihre persönlichen und beruflichen Möglichkeiten entfalten und weiterentwickeln können.

Soziale Kompetenzen werden vornehmlich über die bewusste Wahrnehmung der eigenen Wünsche und Bedürfnisse entwickelt. Wenn ich meine "Auslöser" kenne, kann ich mich selbst, auch in meiner beruflichen Funktion, bewusster steuern und auch gegen mögliche Angriffe schützen.

Wie stelle ich mich als Trainer*in, Leiter*in und Mensch vor?

Bei verschiedenen Weiterbildungen in Rumänien und China habe ich erlebt, wie das Trainingspersonal zwar die eigene Fachkompetenz vorgestellt, sich aber kaum bis gar nicht zur eigenen Person geäußert hat. Im Ergebnis war das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden eher gering ausgeprägt und die Lernatmosphäre fungierte eher als Hemmschuh denn als Treiber des Lernens. Zusätzlich wurden Medien wie Flipcharts kaum genutzt.

Vertrauen schaffen hingegen Partnerübungen und spielerische Lerneinheiten mit praktischen Übungen im Raum und – je nach Möglichkeit – auch in der Natur. Mit einer selbst und vielleicht handgestalteten Grafik auf einem Flipchart können Trainerinnen und Trainer ihre individuelle Persönlichkeit gut und kreativ vermitteln.

Wie erkenne ich Risiken in der Gruppendynamik?

Zielsetzung einer Weiterbildung war es, die Teilnehmenden zu befähigen, ihre Risikofilter und Risikotreiber zu erkennen, zu erleben und wahrzunehmen, um ihre Möglichkeiten als Trainerinnen, Trainer und Lehrkräfte zu optimieren.

Dazu wurde unter anderem ein Parcours mit Schikanen (S-Kurven, Barrikaden) und mit Bauklötzen als Begrenzung auf beiden Seiten aufgebaut. Dann mussten die Teilnehmenden den Parcours unter verschiedenen Bedingungen (Augenbinde, mündliche Hinweise, nonverbale Unterstützung über Führseile) absolvieren und übten sich dabei in ihrer persönlichen Wahrnehmung hinsichtlich Risiko, Kommunikation und Führung. Anschließend reflektierten die Teilnehmenden ihre Erlebnisse und Erkenntnisse und stellen den Bezug zum Lernprozess und zur Gruppendynamik her.

Rein in die Zukunft – mit Online- und Blended Learning

Die Geschwindigkeit der Digitalisierung von Lernprogrammen ist eine neue Herausforderung für jede Lehrkraft, jede Trainerin und jeden Trainer. Die Kommunikation über Kamera und Mikrophon verändert die Wahrnehmung des Menschen. Körpersprache, Gestik, Mimik und Stimme werden nur begrenzt übertragen. Daher ist es notwendig, die Teilnehmenden ganz anders "abzuholen" und einzubinden als bisher.

Allein die technische Vorbereitung eines Online-Workshops erfordert eine andere, zusätzliche Aufmerksamkeit des Trainierenden, gilt es doch, beispielsweise Hardware, Internetzugang, Internetgeschwindigkeit, Lernplattform, Kamera- und Mikrofonqualität, Lichtverhältnisse im Raum sowie einen oder mehrere Bildschirme für die Trainingsleitung einerseits und die Teilnehmenden andererseits zu definieren und sicherzustellen. Aus meiner bisherigen Erfahrung erfordert dies eine anspruchsvollere, weil genauere Vorgehensweise als bei Präsenz-Workshops.

Wer in Sachen Informationstechnik (IT) nur geringe Kenntnisse hat, sollte in jedem Fall jemanden mit IT-Expertise oder -Erfahrung hinzuziehen. Ähnlich wie bei Präsenz-Workshops und -Ausbildungen gilt es, die Bedingungen für die Teilnehmenden, wie in den Chat schreiben, Bildschirm teilen, in Breakout-Räume wechseln, bei einem Online-Workshop zu definieren. Auch Nutzung und Umgang mit Kamera und Mikrophon sollte im notwendigen Maß geregelt sein. Ein Pilottraining mit Kolleginnen und Kollegen sowie ausgewählten Teilnehmenden kann sehr hilfreich sein, um Erfahrungen zu sammeln und das eigene Vorgehen, die eigene Wirkung zu sichern.

Auch die technischen Rechte der Teilnehmenden müssen im Rahmen der Prozessplanung geklärt und entsprechend auf der jeweiligen Lernplattform programmiert werden. Zur Vorbereitung kann man ein Kurzvideo für die Teilnehmenden zur Verfügung stellen und bereits im Vorfeld versenden.

Auch die natürliche Scheu vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sich vor der Kamera zu zeigen und mitzuteilen, bedarf besonderer Beachtung. Für den Workshop-Ablauf ist es wichtig, ähnlich wie bei einem Präsenz-Training die notwendigen Medien und Instrumente (Whiteboard, Präsentation, Videoclips, Umfragen, Gruppenarbeiten usw.) zu planen. Für Online-Trainings ist eine andere zeitliche Struktur notwendig als für Präsenz-Trainings. Lerneinheiten sollten 30 Minuten nicht überschreiten, um die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden zu behalten; Pausen sollten nach maximal zwei Lerneinheiten eingelegt werden.

Für lebendiges Lernen muss der Lernprozess ausreichend interaktiv gestaltet sein, etwa durch Nutzung von Videoclips, Umfragen und einer zweiten Kamera beim Trainer oder bei der Trainerin. Um nach einer Pause einen guten Wiedereinstieg zu finden, sind Gelegenheiten zum persönlichen Austausch in der Gruppe gut geeignet, um bei digitalen Formaten wieder in den Bereich von Intimität/Integrität zu gelangen.

Insgesamt ist bei digitalen Formaten eine höhere Konzentration und Aufmerksamkeit seitens des Trainierenden notwendig, da er oder sie zusätzlich die Hard- und Software im Auge behalten muss. Die Zukunft ist bekanntlich schon da und gehört neuen Lern-Formaten wie dem von mir favorisierten Blended Learning, einer Mischung aus Online- und Präsenz-Training/-Ausbildung. Im Präsenzteil können sich Trainierende und Teilnehmende darauf konzentrieren, einander als Menschen wahrzunehmen und sich auf einen entsprechenden Umgang miteinander zu fokussieren. Der digitale Anteil wiederum ermöglicht es den Teilnehmenden, je nach Struktur zeit- und ortsunabhängig und nach ihren individuellen Möglichkeiten zu lernen.

Carl Gustav Jung hat einmal gesagt: "Alles was uns an anderen missfällt, kann uns zu besserer Selbsterkenntnis führen." Wenn ich meine "Gos" und "No-Gos" als Mensch erkenne, eröffnet mir dies eine Reihe von neuen Möglichkeiten, mich selbst zu lenken und zu steuern. Auf dieser Grundlage kann ich in meiner Funktion als Trainierender, Ausbildender und Mensch meine Haltung und Vorgehensweise verändern und den Lernenden bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten als Trainer*in und Mensch ein nachhaltiger Partner und Begleiter sein.


Fachartikel "Durch Selbsterkenntnis zur Menschenführung"

Dieser Fachartikel ist dem iMOVE-Magazin xPORT, Ausgabe 2/2021, erschienen Ende Oktober 2021, entnommen. 

  • Autor: Werner Seeger, Geschäftsführer Werner Seeger Management Service

xPORT 2/2021

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Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT-Magazin 2/2021