Frauen sind der Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg Tunesiens

Sechs Jahre nach der tunesischen Revolution sind weiterhin viele Augen auf Tunesien gerichtet. Denn das Land wird nicht nur als Wiege der Demokratie in Nordafrika und dem Nahen Osten gesehen, sondern es ist das einzige Land mit einer frei gewählten Regierung nach dem Arabischen Frühling.

Tunesien dient als Leuchtturm und Hoffnungsträger für seine Nachbarn, die noch immer unter repressiven Regimen leben. Durch uns werden sie daran erinnert, dass ihr Kampf um Freiheit nicht vergebens ist.

Wenngleich wir Tunesier den Zuspruch der internationalen Gemeinschaft für unsere bisherigen Erfolge zu schätzen wissen, sind wir uns bewusst, dass es noch viel zu tun gibt. Dabei konzentrieren sich viele zunächst auf den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger, was in der Tat ja auch die grundlegende Aufgabe jeder Regierung ist.

Allerdings bin ich der Ansicht, dass unsere oberste Priorität Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sein muss. Denn nur, wenn alle in der Bevölkerung davon profitieren können, wird sich in unserer Nation neue Hoffnung breitmachen. Damit wir unser ehrgeiziges Ziel von fünf Prozent Wirtschaftswachstum bis 2020 erreichen können, müssen alle Tunesier mitwirken - Frauen und Männer, Jung und Alt.

Vorangetrieben durch die Ennahdha-Partei hat das tunesische Parlament ein Gesetz gegen Menschenhandel verabschiedet. Denn Frauen aus ländlichen Gebieten müssen oftmals in sklavenähnlichen Verhältnissen arbeiten.

Das Gesetz wird dieser Notlage entgegenwirken. Außerdem bringt Ennahdha momentan ein Gesetz voran, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Unser Land wird seinen demokratischen Fortschritt nur dann aufrechterhalten und sicherlich nur dann einen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren können, wenn der Schutz von Frauen sichergestellt ist.

Tunesische Frauen schreiten bereits voran

Der Frauenanteil im tunesischen Parlament ist bereits bei 32 Prozent und damit höher als in vielen westlichen Ländern. Auch die US-First Lady Michelle Obama machte 2015 bei einer Rede in Doha deutlich, dass Frauen im Nahen Osten das Recht auf Bildung, Arbeit, Eigentum und politische Beteiligung nicht verwehrt werden darf: "Wir können die Herausforderungen bei der Ausbildung unserer Mädchen solange nicht meistern, bis wir die kulturellen Normen und Praktiken überwinden, die die Intelligenz von Frauen abwerten, die ihre Stimme zum Schweigen bringen, die ihre Ambitionen einschränken."

Ennahdha hat betont, dass Fortschritt in den Schulen und zu Hause beginnt und danach in Geschäften und Büros weitergeführt werden muss, um Wachstum zu generieren, von dem alle Tunesierinnen und Tunesier gleichermaßen profitieren.

Aus diesem Grund enthält der Gesetzesvorschlag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auch Schutzmaßnahmen vor "wirtschaftlichen Schäden", wie zum Beispiel ungleiche Bezahlung und voreingenommene Behandlung von Frauen am Arbeitsplatz.

Ich bin mit meinen Kollegen im Parlament und in der Regierung an erster Stelle, um die Rechte der Frau zu schützen. Denn wir sind uns bewusst, dass Tunesien die Gleichbehandlung von Frauen braucht, um Erfolg haben zu können.

Es ist zwar schon selten genug in der arabischen Welt, dass ein Land Frauen vor Gewalt schützt, aber Ennahdha wirkt sogar darauf hin, Tunesien noch weiter voranzubringen. Wir müssen die wirtschaftlichen Rechte der Frauen schützen, damit sie eine zentrale Rolle im Wachstum unserer Wirtschaft spielen können. Dies wiederum wird die Demokratie Tunesiens erhalten und stärken.

Gleichstellung von Frauen in der Wirtschaft

Wenn wir die Gleichstellung zwischen Mann und Frau in der Geschäftswelt erreichen, wird das spürbare Auswirkungen haben, wie wir bei der Aufstellung der Wahllisten gesehen haben. So könnte die Teilhabe von Frauen an der Wirtschaft verbessert werden. Der Anteil der tunesischen Frauen an der Wirtschaft wird auf 25 Prozent geschätzt, was sehr niedrig ist.

Obwohl 95 Prozent der Investoren Männer sind, was zugleich bedeutet, dass Projekte männlicher Unternehmer eher gefördert werden, haben Frauen bewiesen, dass auch sie Unternehmen profitabel führen können. Erhebungen haben gezeigt, dass Unternehmen, die einen höheren Anteil von Frauen beschäftigen, einen Wettbewerbsvorteil auf dem Markt haben.

Frauen sind nicht nur Konsumenten, sondern hart arbeitende Mitarbeiterinnen, Unternehmerinnen und Eigentümerinnen, die zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen. Unser Engagement gilt nicht nur der Fairness. Es geht um konkretes Wirtschaftswachstum, das uns allen zugutekommt. Denn es bietet Stabilität, Chancen für den sozialen Aufstieg und Optimismus für die Zukunft.

Ein Bericht von McKinsey Global Institute aus dem Jahr 2015 ergab, dass der Nahe Osten bei gleichen wirtschaftlichen Chancen für Frauen und Männern einen jährlichen Wirtschaftsaufschwung von 4 Prozent erleben würde.

Angesicht des tunesischen Wachstums von weniger als einem Prozent im letzten Jahr und dem zwei Prozent Ziel für 2016 wäre dies eine drastische Verbesserung. Es ist eine gute Sache, dass - zumindest für Ennahdha - dies sowohl ein strategisches Ziel ist als auch auf tiefer Überzeugung basiert.

Weltweit profitieren viele Länder und Sektoren von einem hohen ökonomischen Engagement der Frauen. Studien zeigen, dass Firmen, die von Tech-Unternehmerinnen geführt werden, bis zu 35 Prozent höhere Kapitalrendite erzielen als Firmen mit männlichen Chefs. Darüber hinaus weisen Unternehmen mit Frauen in Führungspositionen bessere Geschäftsergebnisse als Unternehmen mit einem geringen Frauenanteil auf.

Tunesien hat aufgrund von Terrorismus ökonomische Rückschläge erleben müssen. Trotzdem streben wir immer noch an, in den kommenden vier Jahren das Wirtschaftswachstum zu verdoppeln. Deswegen müssen wir unseren Weg zur vollen Teilhabe aller unserer Bürger fortsetzen.

Tunesiens Kapital ist seine Bevölkerung

Vielleicht schenken andere Länder diesen Statistiken keine Beachtung und verlassen sich auf ihr Öl oder andere Rohstoffe. Doch dabei vernachlässigen sie das Potenzial der Hälfte ihrer Bevölkerung. Wir in Tunesien haben diese Bodenschätze nicht.

Unser größtes Kapital ist unsere Bevölkerung und unser Traum einer wehrhaften Demokratie mit einer starken Wirtschaft. Nachdem wir unsere Demokratie mit drei freien und fairen Wahlen seit 2011 gefestigt haben, machen wir das nun auch mit unserer Wirtschaft.

Frauen haben dabei im Mittelpunkt der notwendigen Reformen gestanden, von der Verfassung bis hin zu wachsenden wirtschaftlichen Möglichkeiten und Ausbildungsprogrammen. Dafür haben sich aber nicht nur Frauen eingesetzt. Männer, besonders von Ennahdha, setzen sich für die dringend benötigten Reformen in unserer Region ein, die ein starkes Tunesien ermöglichen werden.

Wenn Menschen Arbeit haben, dann sehen sie Chancen. Wenn sie Chancen haben, dann schöpfen sie Hoffnung. Wenn sie Hoffnung haben, dann wollen sie etwas aufbauen. Wenn sie ein besseres Tunesien aufbauen wollen, werden wir gemeinsam stärker werden und Tyrannei und Terror hinter uns lassen.

Unsere Frauen haben die Herausforderungen in Politik und Regierung angenommen. Für das Wachstum unserer Wirtschaft und unserer Unternehmen können und werden Frauen die Lösung sein.

  • Autorin: Boutheina Ben Yaghlane, ehemalige Staatssekretärin für Finanzen, Mitbegründerin der Tounissiet NGO to empower women leaders

Quelle: The Huffington Post, huffingtonpost.de, 20.01.2017