Lernfabrik als Vorbild für Fernost

In die Liste illustrer Gäste der Göppinger Lernfabrik Industrie 4.0 reihte sich Ende Januar 2017 eine Delegation aus Singapur um deren stellvertretenden Ministerpräsidenten Tharman Shanmugaratnam ein. Den Kontakt hatte, wie schon bei anderen Besuchen, das Stuttgarter Wirtschaftsministerium hergestellt.

Nach einer Vorstellung der Gewerblichen Schule Göppingen im Allgemeinen durch Schulleiter Jürgen Wittlinger und die vor zwei Jahren gestartete Lernfabrik im Speziellen durch Studiendirektor Ulf Immelnkämper bekamen die Gäste aus dem 5,6 Millionen Einwohner zählenden Stadtstaat Singapur eine Führung durch die Lernfabrik und die Gelegenheit mit Schülern ins Gespräch zu kommen. Dies wurde intensiv genutzt.

Der Vize-Premier zeigte sich gut vorbereitet, stellte zahlreiche detaillierte Fragen und zückte mehrfach selbst den Stift um sich Notizen zu machen, während die Mitglieder seiner Entourage immer wieder Aufnahmen mit dem Smartphone machten.

Die Gäste aus Singapur interessierte beispielsweise das Alter der Schüler, die Finanzierung der Lernfabrik sowie die Planungs- und Aufbauzeit. Außerdem waren sie dem Erfolgsgeheimnis auf der Spur, wie die komplexen Inhalte und Fähigkeiten in einer relativ kurzen Zeit vermittelt würden.

Schulleiter Jürgen Wittlinger erklärte, dass weniger Zeit auf die Vermittlung alter Techniken verwandt werde. Zudem würde die Flexibilität des Lehrplans genutzt und anhand exemplarischer Beispiele Wissen vermittelt. In gewohnt engagierter Weise ­unterstrich dieses Prinzip der Leiter des Kompetenzzentrums, Automatisierungstechnik und Mechatronik, Joachim Heer, vor Ort in der Lernfabrik: "Technologien entwickeln sich weiter, Strukturen und Denkweisen bleiben gleich." Daher gelte es, das Verständnis der Prozesse zu ­vermitteln.

Seit einem Vierteljahrhundert gebe es eine Kooperation zwischen dem Institute of Technical Education (ITE) in Singapur und dem Land Baden-Württemberg, erzählte der Göppinger Abteilungsleiter für Berufliche Aus- und Weiterbildung Metalltechnik, Studiendirektor Ulf Immelnkämper. Die Technikerausbildung in Singapur erfolge nach dem Vorbild Baden-Württembergs. Während es anfangs vor allem ein Wissenstransfer von West nach Fernost gewesen sei, begegne man sich heute auf Augenhöhe, betont Matthias Kurrle von der Abteilung für berufliche Bildung im Stuttgarter Kultusministerium. Dazu gehörten gemeinsame Projekte, etwa zur Lehrerfortbildung genauso wie Austauschprogramme zwischen Experten der Aus- und Weiterbildung.

Seit 2016 ist nun auch die rund 2000 Schüler zählende Gewerbliche Schule Göppingen mit im Boot bei der Kooperation mit dem ITE, an welchem 30.000 Schüler unterrichtet werden. Schulleiter Wittlinger war im vergangenen Jahr nach Singapur gereist, um den Kooperationsvertrag zu ­unterzeichnen, ein Lehrerkollegium aus Singapur war bereits zu Besuch in Göppingen.

Geplant seien neben Lehrer- und Schüleraustausch auch gemeinsame ­Projekte, die beispielsweise von Schülern in Göppingen und ­Singapur via Netz-Kontakt gemeinsam gestaltet würden, um erst bei der Präsentation real aufeinanderzutreffen, berichtet Ulf Immelnkämper.

Profitiert nun also vor allem Singapur von der Kooperation? Das sei heute nicht mehr so, Vergleiche zu den Anfangsjahren zeigten dies deutlich, so Immelnkämper. Die Ausstattung in Singapur sei "vom Allerfeinsten". "Beeindruckend", ergänzt Schulleiter Wittlinger aus eigener Anschauung. Lediglich bei der Umsetzung habe man die Nase wohl noch etwas vorn, so die Vertreter der Göppinger Schulleitung.

Lernfabrik kostet etwa 5.000 Euro pro Jahr und Schüler

Kosten: Würden die üblichen Kosten für Gebäude, Lehrkräfte und so weiter umgelegt, könne man von circa 5.000 Euro pro Jahr und Schüler sprechen, antwortete Schulleiter Wittlinger auf die Frage des Vize-Premiers aus Singapur nach den Kosten der Lernfabrik.

Planung: Gekostet hat die vom Landkreis bezahlte Ausstattung rund eine Million Euro. Die Planung erfolgte innerhalb von zwei Jahren. Die Inbetriebnahme nahm ein weiteres Jahr in Anspruch. So die Aussage der Schulleitung auf Frage des Vize-Premiers.

Vorbild: Derzeit gebe es 15 derartige Projekte mit insgesamt 24 Schulen in Baden-Württemberg, erläuterte Studiendirektor Matthias Kurrle von der Abteilung für berufliche Bildung im Stuttgarter Kultusministerium. Göppingen war Vorbild. Dort werden aktuelle Automatisierungs- und Fertigungssysteme dargestellt und können so zur praxisnahen Ausbildung an der Berufsschule genutzt werden.

Vergleich: ITE Singapur: 30.000 Schülerinnen und Schüler. Gewerbliche Schule Göppingen: 2.000 Schülerinnen und Schüler.

Quelle: Göppinger Kreisnachrichten - Neu Württembergische Zeitung, Südwest Presse, swp.de/goeppingen, 26.01.2017