Taiwan: Visitenkarte als Türöffner

Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Landkreis Starnberg und der taiwanesischen Hauptstadt Taipei existieren seit bald 40 Jahren. Es gab zahlreiche Begegnungen auf offizieller politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Jetzt soll auch der berufliche Bereich eingebunden werden.

Mit dem passenden Schlüssel lässt sich jede Tür öffnen. Das klappt auch mit einer Visitenkarte – wenn sie passt. Unmöglich? Keineswegs. Vier Besucher aus dem Landkreis Starnberg, der mit Taiwans Hauptstadt New Taipei City freundschaftliche Beziehungen pflegt, haben es versucht – mit durchschlagendem Erfolg.

Mit Einfühlungsvermögen und der Unterstützung Taiwans Vertretung in München haben die vier – Peter Dahmer, Oberstudiendirektor des Beruflichen Zentrums Starnberg, sein Stellvertreter Martin Brouer, Seminarlehrerin Brigitte Engelbrecht und Dr. Helmut Wedekind, Leiter des Instituts für Fischerei in Starnberg – ihre Visitenkarten gestaltet und schon hatten sie ihren Türöffner.

Kultur und Tradition

Die Taiwaner legen großen Wert auf Tradition und Kultur. In Formosa (portugiesisch: Schöne Insel), wie die Insel früher genannt wurde, wird auch heute noch mit den ursprünglichen chinesischen Schriftzeichen geschrieben, den so genannten Langzeichen. Damit heben sich Bewohner bewusst ab von der übermächtigen Volksrepublik China, die seit der Kulturrevolution die von Mao Tse-tung vereinfachte Schrift benutzt, die so genannten Kurzzeichen. Und mit den Langzeichen hat die Starnberger Delegation ihre deutschen Visitenkarten übersetzen lassen. "Das hat großen Eindruck gemacht", berichtet Peter Dahmen, "diese Geste haben die Taiwaner als ideelle Wertschätzung unsererseits gewertet."

Die Volksrepublik China erhebt immer noch Besitzansprüche auf die Insel. Die Taiwaner sehen sich allerdings als eigenständige Nation und schätzen sich glücklich, wenn andere Staaten als Zeichen der Solidarität diesen Status anerkennen. Der ist allerdings recht umstritten. Und die Zahl der Unterstützer schwindet. Von vormals zwei Dutzend Staaten, die Taiwan als eigenständig respektierten und diplomatische Beziehungen aufgenommen hatten, sind gerade einmal 18 übrig geblieben, weiß Peter Dahmer.

Zweck der Delegationsreise

Der Landkreis Starnberg und der Landkreis Taipei auf Taiwan (heute New Taipei City) unterhalten seit 1981 freundschaftliche Beziehungen. Auslöser war der Besuch einer taiwanesischen Fallschirmspringermannschaft, die 1980 an den Weltmeisterschaften in Altenstadt (Landkreis Weilheim-Schongau) teilgenommen und Starnberg besucht hat.

Die damalige Wirtsfamilie Ming im Starnberger Wasserpark-Restaurant hat die zarten Bande mit Taipei geknüpft. Nach einigen Besuchen Starnberger Delegationen auf Taiwan unterzeichneten beide Seiten 1985 eine Urkunde, die die freundschaftlichen Kontakte zwischen den Landkreisen dokumentiert. Besonders intensiv ist der Austausch zwischen dem Gymnasium Landschulheim Kempfenhausen und der San Ming Highschool in Taipei, der 1997 begründet wurde und seitdem jährlich mit gegenseitigen Besuchen gefestigt wird.

Diese Kontakte sollen nun auch auf beruflicher Basis geknüpft werden. Deshalb hat der Kreistag das Berufliche Zentrum Starnberg gebeten, die Zusammenarbeit auf dieser Ebene zu sondieren mit dem Ziel, den Bildungsaustausch anzuregen. Ein Kontakt hatte bereits 2018 stattgefunden, als Studierende und Lehrer der Tung Hai Senior High School an den Starnberger See gereist waren.

Höhepunkt des jetzigen einwöchigen Gegenbesuchs der Starnberger war ein feierlicher Empfang, bei dem eine Vereinbarung über die weitere Zusammenarbeit unterzeichnet wurde. Und selbstverständlich bildeten Kultur und Tradition den alles umfassenden Rahmen dieser Begegnung.

Die Asiaten sind bekannt für ihre einnehmende Gastfreundlichkeit, "die geeignet ist, uns Europäer zu beschämen", sagt Dahmer. So wusste die Starnberger Delegation, dass die freundlichen Gastgeber eine angemessene Erwiderung auch von ihren Gästen erwarten. Entsprechend vorbereitet hatten sich Dahmer und seine Begleiter.

Weil der festliche Empfang Anfang Mai stattfinden sollte, hatte der handwerklich geschickte Mann einer früheren Lehrerin des Beruflichen Zentrums Starnberg aus einem Baumast einen Miniatur-Maibaum gedrechselt und kunstvoll aus Fahrradspeichen die Halterungen für die Tafeln gebastelt. Die Spitze des gut 80 Zentimeter langen Baumes ziert ein vergoldeter Gockel. Dieses Prachtstück war für den Inhaber der privaten High School Taipeis, Tsun-Pang Cheng, gedacht. "Der hat sich riesig gefreut", berichtet Dahmer. Das kleine Kunstwerk soll mittlerweile das Büro des Gastgebers zieren.

Und für alle anderen Gastgeber und Kontakte hatten sich die Starnberger mit Zinndeckel-Bierkrügen des Starnberger Brauhauses eingedeckt. "Es war ein großer Koffer voll damit", berichtet Martin Brouer, "aber zum Ende der Reise hatten wir Probleme, dass uns die Geschenke nicht ausgehen. Das wäre ein Fauxpas gewesen." Um den Kulturtransfer komplett zu machen, hatten sich die Starnberger für den Empfang zünftig in Tracht gewandet. Die Gastgeber sollten die Tradition des Maibaumaufstellens kennen lernen, dafür zeigten die Starnberger während des Empfangs einen Videofilm dieses Brauches.

Die Erwartungen der Taiwaner

Die private Tung Hai Senior High School unterrichtet aktuell gut 1.300 Schüler in den Bereichen Informationstechnologie, Elektrotechnik, Kraftfahrzeug, Hotel und Gastronomie – in Vollzeit. Das Studium dauert drei Jahre und ist mit Praktika angereichert. Gerne würde die Schulleitung das duale System einführen – die Kombination von theoretischem Unterricht und praktischer Berufsausbildung. "Damit beißen die Lehrer sich die Zähne bei den einheimischen Betrieben aus", sagt Dahmer: "Die Firmen haben Ressentiments und argumentieren: Wir zahlen ordentlich, aber für uns kommt nichts dabei heraus."

Im Austausch mit Finnen und Japanern haben sich die Taiwaner über die betrieblich unterstützte Ausbildung bereits ausgetauscht. Jetzt wollen sie auch wissen, wie das duale System in Deutschland funktioniert. "Wir haben in Vorträgen erläutert, was wir unter gutem Unterricht verstehen und wie die Lehrerausbildung aussieht", berichtet Dahmer: "Allerdings haben wir vermieden, gute Ratschläge zu geben. Die Taiwaner müssen es selbst meistern, frei nach dem Motto 'learning by doing'".

Die Kontakte zu Deutschland sind für die dortige Schule auch ein Aushängeschild, sagt Dahmer: "Das bringt Reputation und fördert den Zulauf zu der Bildungseinrichtung."

Das ist für die Zukunft geplant

Vorrangiges Ziel der mit den Taiwanern unterzeichneten Vereinbarung ist der Schüleraustausch zwischen dem Beruflichen Zentrum Starnberg und der Tung Hai Senior High School in Taipei – im interkulturellen Austausch auch mit Betrieben im Landkreis Starnberg. Schulleiter Dahmer geht davon aus, dass zunächst die Taiwaner nach Starnberg kommen. "Das soll noch heuer passieren, das ist mein festes Ziel", sagt er – auch im Hinblick auf seinen bevorstehenden Ruhestand. Aber mit Martin Brouer hat er einen engagierten Verfechter dieser Idee.

Das größte Handicap

Die Verständigung ist ein Problem in der Zusammenarbeit. Die Taiwaner können kein Deutsch – bis auf wenige Floskeln. Auch die englische Sprache beherrschen sie nur sehr unzureichend. "Sprache ist der Schlüssel zur Bildung", sagt Peter Dahmer, er ist aber optimistisch: "Dieses Problem sollte sich durch die internationalen Kontakte lösen lassen."

  • von Stephan Müller-Wendlandt

Quelle: Merkur.de, 30.05.2019