Tunesien: Markt mit Potenzial für neue Berufsbildungsanbieter

Tunesierinnen und Tunesier im Trainingszentrum
Quelle: Marquardt Tunesien
Trainingscenter von Marquardt Tunesien
Die in Tunesien operierende deutsche Marquardt GmbH ist ein Beispiel für die Umsetzung einer dualen Berufsausbildung in Tunesien.

Das Interview mit Noureddine Yakoubi, Generalmanager von Marquard Tunesien, zeigt auch, dass Tunesien für weitere duale Berufsbildungsmaßnahmen aus Deutschland offen ist.

Tunesiens berufliche Aus- und Weiterbildung befindet sich im Wandel. Auch viele internationale Akteure zeigen ein gesteigertes Interesse an diesem aktuell sehr dynamischen Markt.

Das deutsche Modell der dualen Berufsausbildung wird vor Ort zwar nicht übergreifend, allerdings bereits projektbezogen umgesetzt. Die deutsche, in Tunesien operierende Marquardt GmbH ist ein interessantes Beispiel und verweist auf das Potenzial für neue Berufsbildungsanbieter in Tunesien.

Charlotte Schuchard: Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Berufsbildung in Tunesien, welche Herausforderungen lassen sich nennen?

Noureddine Yakoubi: In Tunesien besteht das Problem, dass die Berufsbildung in der Regel für zwei Monate an Berufsschulen und für zwei Monate in Unternehmen stattfindet. Beteiligte Unternehmen und Berufsschulen kommunizieren aber nicht in ausreichendem Maße miteinander, wodurch zu wenig Wissenstransfer stattfindet und die Qualität der Ausbildung leidet.

Überdies investieren Betriebe unzureichend in ihre Infrastruktur und verfügen in der Folge nicht über die benötigten Ressourcen, um Auszubildende nachhaltig zu qualifizieren.

Zudem gibt es häufig kein oder zu wenig Ausbildungspersonal.

Schuchard: Wie reagieren Sie mit Ihrem Unternehmen auf diese Situation und welche Aktivitäten setzten Sie im Bereich der Berufsbildung um?

Yakoubi: In Kooperation mit dem Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw GmbH) und zwei lokalen Berufsschulen haben wir 2013 ein Ausbildungsprojekt ins Leben gerufen, das sich am deutschen Modell der dualen Berufsausbildung orientiert. Über dieses Projekt streben wir an, den beschriebenen, strukturellen Schwachstellen des tunesischen Berufsbildungssystems entgegenzuwirken.

Aktuell bieten wir die drei Ausbildungsgänge Werkzeugmacher/in, Kunststofftechniker/in und Mechatroniker/in an. Die bbw GmbH ist dabei verantwortlich für die theoretischen und teilweise auch praktischen Ausbildungsinhalte.

Zur Umsetzung des Projekts haben wir in unserer Niederlassung in Tunis ein eigenes Ausbildungszentrum eingerichtet, in dem die praktischen Ausbildungsinhalte vermittelt werden.

Im Gegensatz zum gängigen System in Tunesien wechseln die Auszubildenden regelmäßig zwischen theoretischen und praktischen Modulen, beide Bereiche sind eng miteinander verknüpft.

Marquardt ist dabei für die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten verantwortlich, auch aktuelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewerben sich um eine Teilnahme. Darüber hinaus bilden wir autonom Trainerinnen und Trainer aus, die ihr branchen- und unternehmensspezifisches Fachwissen dann an die Auszubildenden weitergeben können. Weiterbildungen sind ebenfalls Teil unseres Angebotes.

Zwar handelt es sich um ein überschaubares Projekt mit aktuell 19 Auszubildenden, dennoch haben wir mit dem Format der dualen Ausbildung rückblickend sehr positive Erfahrungen gemacht. Die Jugendlichen sind allgemein motiviert. Zudem vergeben wir Stipendien und es besteht eine relativ hohe Übernahmewahrscheinlichkeit, wodurch wir die Abbrecherquoten niedrig halten können.

Durch regelmäßige Besuche und Abstimmungsprozesse hat sich auch die Kooperation mit den beteiligten Berufsschulen verbessert, was zur Qualität und Effektivität der Ausbildungsgänge beiträgt.

Schuchard: In welchen Bereichen sehen Sie Potenzial für ausländische Anbieter beruflicher Aus- und Weiterbildung in Tunesien? Welche Zukunftsprognosen stellen Sie?

Yakoubi: Es gibt vielfältige Bereiche, in denen ausländische Anbieter aktiv werden können.

Relevant sind beispielsweise Fremdsprachen - Englisch ist bislang wenig verbreitet. Auch Soft Skills spielen eine überaus wichtige Rolle und könnten im Rahmen von neuen Aus- und Weiterbildungsangeboten aufgegriffen werden.

Die rein fachliche Ausbildung reicht heute nicht mehr aus, um sich auf dem kompetitiven Arbeitsmarkt zu behaupten. Die Arbeitseinstellung betreffende Fähigkeiten wie etwa Pünktlichkeit und Genauigkeit sind Bereiche, in denen teils Nachholbedarf besteht. Wertvermittlung ist hier also ein zentrales Thema.

Im Hinblick auf langfristige Chancen bleibt abzuwarten, wie sich die politische Lage in Tunesien entwickelt.

Deutsche Unternehmen haben in den vergangenen Dekaden ein anhaltendes Engagement gezeigt und sind mit den lokalen Produktionskosten und allgemeinen, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sehr zufrieden. Gleichzeitig gab es in den vergangenen Jahren auch aufgrund des Krisen-Images des Landes verhältnismäßig wenig neue Investments.

Die Entwicklung des Industriestandorts Tunesien und der zukünftige Bedarf an qualifizierten Fachkräften wird folglich eine entscheidende Rolle bei der beruflichen Aus- und Weiterbildung Tunesiens spielen.

  • Das Interview führte Charlotte Schuchard, Mit-Autorin der iMOVE-Marktstudie Tunesien

Vorschau Tunesien

wehende tunesische Nationalflagge
In Kürze erscheint eine iMOVE-Marktstudie Tunesien für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung.

Parallel geht eine neue Marktseite Tunesien online.

Quelle: iMOVE