Taiwan will duale Berufsschulausbildung stärken

Die taiwanische Regierung möchte die Berufsschulausbildung fördern und ausweiten. Sie beruht auf dem bereits eingeführten deutschen dualen System.

Um als Wirtschafts- und Investitionsstandort attraktiv zu bleiben, braucht Taiwan qualifizierte Arbeitskräfte. Sowohl akademisches als auch in der Praxis ausgebildetes Personal wird von den Unternehmen derzeit stark nachgefragt.

Bislang sind Akademiker unter den Berufsanfängern zwar vorherrschend, doch dies soll sich bald ändern: Die taiwanische Regierung möchte die Berufsschulausbildung fördern und ausweiten. Sie beruht auf dem bereits eingeführten deutschen dualen System.

Eine effektive Berufsschulausbildung sei ein wichtiger Faktor, um die Wettbewerbsfähigkeit Taiwans zu erhalten, betonte Premierminister Sean Chen im November 2012 in einer Rede zur Bildungsreform. So soll die Berufsschulausbildung dazu führen, dass die Schüler direkt nach ihrem Abschluss im Unternehmen eingesetzt werden können. Dabei schaut Taiwan auch auf das Vorbild Deutschland.

Tatsächlich betreibt die Insel ein dem deutschen dualen Ausbildungssystem ähnliches Programm, das anfangs von Deutschland übernommen und dann lokal angepasst wurde. Zwischen 2003 und 2010 führte das Deutsche Wirtschaftsbüro Taipei in Zusammenarbeit mit dem Ministry of Education und dem Council of Labor Affairs das duale Ausbildungssystem nach deutschem Muster ein.

In diesem "Tai-Ger Dual Vocational Education Project" genannten Vorhaben waren 2010, dem letzten Jahr der Kooperation, 27 Ausbildungsinstitutionen und 170 Unternehmen involviert. Der Schwerpunkt lag auf dem Dienstleistungsgewerbe sowie technischen und kaufmännischen Berufen.

Für die kontinuierliche Qualitätskontrolle, Lizenzierung und Prüfungskontrolle war bis 2010 das Deutsche Wirtschaftsbüro Taipei beziehungsweise dessen Dienstleistungsarm DEInternational zuständig. Mehr als 3.200 Zertifikate von DIHK/AHK (DIHK: Deutscher Industrie- und Handelskammertag; AHK: Auslandshandelskammer) wurden ausgestellt.

Seit 2011 läuft das Programm als rein taiwanisches Programm ohne deutsche Beteiligung und Zertifizierung. Aufgrund finanzieller Erwägungen wurde die Zusammenarbeit in beiderseitigem Einvernehmen beendet. In seiner jetzigen Form umfasst Taiwans duales System 40 Berufsschulen und 275 lokale Unternehmen, die eine praktische Ausbildung anbieten.

Die Absolventen erhalten Ausbildungszertifikate von der Schule, dem Unternehmen und ein allgemeines Befähigungszeugnis.

Allerdings ist die Zahl der im dualen System ausgebildeten Fachkräfte im Vergleich zur Entwicklung der Berufsschulen in Taiwan insgesamt relativ gering. Ende 2012 verzeichnete die Statistik 155 berufsbildende Schulen, davon 63 in privater Trägerschaft, und knapp 110.000 Abschlüsse. Nach Berufsgruppen steht seit Jahren der Bereich Informationstechnologie an erster Stelle, gefolgt von Küchen und Backstuben sowie der metallverarbeitenden Industrie und der Maschinenbau, so Angaben des Bureau of Employment and Vocational Training beim Council of Labor Affairs (BEVT).

Der größte Unterschied zwischen Taiwans typischem Berufsschulsystem und dem dualen System ist die zeitliche und praktische Komponente. Erfolgt im dualen System ein ständiger Wechsel von schulischer Ausbildung mit direkter praktischer Anwendung im Unternehmen, steht im normalen System einer mehrmonatigen schulischen Ausbildung ein mehrmonatiges Arbeiten im Unternehmen gegenüber. Jedoch wird den Firmen teilweise vorgeworfen, die Auszubildenden lediglich als billige Arbeitskräfte einzusetzen.

Abgesehen von den berufsbildenden Schulen existieren in Taiwan 13 Weiterbildungszentren (entsprechend etwa Berufsakademien), in denen Selbstzahler in bestimmten Berufen Grundkenntnisse erwerben und "On-the-Job-Trainings" durchführen können. Hierin waren bis Ende 2012 mehr als 22.800 Lernende registriert, von denen 17.000 ihre Weiterbildung abschlossen.

Trotz dieses bestehenden Berufsschulsystem ist in letzter Zeit von Institutionen und Politikern immer wieder die Forderung laut geworden, das Zusammenspiel zwischen schulischer und praktischer Ausbildung zu stärken. Denn eine zunehmende Schere zwischen dem Ausbildungssystem und den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes wird moniert.

In Taiwan stehen nach einer neunjährigen Schulpflicht mit Grund- und Mittelschule (primary and junior high schools) für die weiterführende Erziehung Oberschulen (senior high schools), Berufsschulen (vocational schools) und Vorbereitungscolleges (junior colleges) zur Auswahl. Aufgrund des hohen Stellenwertes von Universitätsabschlüssen in der Gesellschaft versuchen Eltern möglichst, ihre Kinder auf die Universitäten beziehungsweise Colleges zu schicken.

Daher hat ein hoher und steigender Prozentsatz der auf den Arbeitsmarkt tretenden Erwerbstätigen in Taiwan einen höheren Bildungsabschluss, ohne dass dies ein Qualitätszugewinn darstellt. Gleichzeitig geht dies auch nicht unbedingt mit besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt einher. Es existiert eine verdeckte Arbeitslosigkeit bei Akademikern. Hingegen suchen Unternehmen auch Bürofachkräfte, Handwerker und Facharbeiter, sowohl in der Produktion als auch in Dienstleistungsberufen.

Um ihren "Economic Power-up Plan" zu verwirklichen, der eine industrielle Modernisierung, stärkere Dienstleistungsorientierung und Wertschöpfungstiefe sowie mehr in- und ausländische Investitionen vorsieht, will die Regierung auch das Erziehungssystem reformieren. So sollen Lehrpläne der Berufsschulen an die Bedürfnisse der Industrie- und Dienstleistungsbranchen stärker angepasst werden, um einen ausreichenden und qualifizierten Arbeitskräftepool vorzuhalten, wie der Premierminister fordert.

Dies könnte dazu beitragen, der bestehenden dualen Berufsausbildung mehr Rückendeckung zu geben. Wenn die taiwanischen Institutionen, allen voran das Ministry of Education, Ministry of Economic Affairs und der Council of Labor Affairs, die Reichweite und Tiefe des in vielen Ländern bewährten deutschen dualen Systems in Taiwan erhöhen wollen, stehen die deutschen Dienstleister sicherlich bereit.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, 29.01.2013