Deutsches Ausbildungsmodell soll Europa fit machen

Hohe Jugendarbeitslosigkeit bleibt in einigen Ländern der Europäischen Union (EU) ein drängendes Problem. Das duale deutsche Ausbildungssystem könnte Abhilfe schaffen - schließlich herrscht andernorts großer Mangel an Fachkräften.

  • Von Michael Schneider,  ARD-Studio Brüssel

Mittagszeit auf Teneriffa. In der Küche des Hotels "Tigaiga Suites" herrscht Hochbetrieb. Rund 20 junge Männer und Frauen lernen hier heute, wie echte deutsche Schnittchen gemacht werden - den Gästen aus dem Norden soll es schließlich schmecken.

Die Auszubildenden falten Kochschinken, schneiden Frikadellen auf, vierteln Gewürzgurken. "So etwas würdet ihr in Spanien nie essen, oder?", sagt Ausbilder Harald Krebs und lacht.

Krebs ist Deutscher und schon viel herumgekommen. In Luxemburg, Belgien und Süddeutschland hat er gekocht, im Ruhestand widmet er sich jetzt der Ausbildung auf Teneriffa. Mit den Schülerinnen und Schülern sprich er deutsch, das gehöre zum Konzept - sie sollen die Sprache der Gäste lernen. Außerdem ist die Ausbildung nach dem deutschen dualen System organisiert: Zur Hälfte Theorie, zur anderen Hälfte Praxis.

Duale Ausbildung: Anderswo noch Neuland

Für Spanien ist so ein Modell noch Neuland, erklärt Malte Schmuck vom deutsch-spanischen Kompetenzzentrum FEDA. Der Verband betreibt ein Netzwerk von Ausbildungsstätten in ganz Europa, exportiert wird das duale Modell.

Viele EU-Länder hätten lange auf eine rein schulische Ausbildung gesetzt, mit höchstens drei Praxismonaten am Ende, so Schmuck. Doch damit seien viele junge Menschen am wirtschaftlichen Bedarf vorbei ausgebildet worden.

Die Folge ist eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, weil die vielen Akademiker kaum Jobs in der freien Wirtschaft fanden. In Griechenland, Italien, aber auch Schweden ist das Fall. Doch in Spanien liegt sie noch immer europaweit am höchsten. Unter den 15- bis 24-Jährigen findet dort fast jeder Dritte keine Stelle.

Besonders auf den Kanaren: Noch vor wenigen Jahren lag sie offiziell bei 60 Prozent, inoffizielle Quellen sprechen sogar von bis zu 90 Prozent. Und das, obwohl dort der Hotelsektor viele Arbeitsplätze bietet. Aber er stellt auch hohe Anforderungen.

Ausbilden gegen den Fachkräftemangel

Ohne Fremdsprachen, so sagt es Paul, brauche man es dort gar nicht versuchen. Das aber falle vielen jungen Kanarierinnen und Kanariern schwer. Paul selbst spricht deutsch und englisch, der junge Mann hat gerade im Ausbildungsjahrgang der FEDA auf Teneriffa angefangen. Er will seine Chancen im Hotelgewerbe erhöhen. Mitauszubildende Julia springt ihm bei: Wer keine gute Ausbildung habe, werde schlecht behandelt, bekomme nur Gelegenheitsjobs.

Die neuen Ausbildungsmodelle sollen hier eine Perspektive schaffen. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich. Denn wo viele junge Menschen arbeitslos sind, kommt es zu Frust und immer öfter zu Unruhen.

Es ist ein Problem mit Sprengkraft, das Spanien entschärfen möchte. Mit Erfolg: Seit etwa zwölf Jahren setzt das Land auf praktischere Ausbildungsmodelle und eine bessere Vernetzung mit anderen EU-Ländern, seitdem hat sich die Jugendarbeitslosigkeit schon halbiert - und die Zahlen sinken weiter.

Dafür investiert das Land in Ausbildungszentren, auf Teneriffa springt zusätzlich die Inselregierung ein und bezahlt Deutschkurse. Auch aus Deutschland kommt Geld für den Aufbau der dualen Ausbildung.

Das ist nicht nur aus reiner Nächstenliebe unter europäischen Nachbarn. Die Bundesrepublik zählt auch auf junge Europäerinnen und Europäer, die den Fachkräftemangel hierzulande bekämpfen können. Denn in Deutschland herrscht auch unter den jungen Menschen fast Vollbeschäftigung, die Arbeitslosenquote liegt nur bei 5,9 Prozent und ist damit EU-weit am niedrigsten. In vielen Bereichen fehlen inzwischen Arbeitnehmer - die europäische Binnenmigration könnte hier ein Lichtblick sein.

Junge Europäer werden mobiler

Es sei ein stetiger Austausch, sagt Janice Schmidt-Altmeyer von der Europavertretung der Bundesagentur für Arbeit. Gerade junge, gut ausgebildete Europäer seien sehr mobil und das könne sowohl die Herkunfts- als auch die Zielländer entlasten.

Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel gleichzeitig bekämpfen - darauf setzen inzwischen auch Förderprogramme der EU, wie etwa die Jugendgarantie. Sie soll junge Menschen beim Berufseintritt unterstützen. Denn nicht überall werde zwischen Schule und Arbeitswelt ausreichend gut vermittelt, das sieht Schmidt-Altmeyer im europäischen Vergleich.

Der Trend zeige aber, dass die Initiativen wirken: Europaweit sinkt die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen seit Jahren kontinuierlich. Selbst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten suchen viele Sektoren händeringend Fachkräfte, etwa die Pflege, Kinderbetreuung aber auch die Gastronomie.

Eine deutsch-spanische Hotelfachausbildung wie die auf Teneriffa könnte so zur Eintrittskarte für den deutschen Arbeitsmarkt werden. Ob die jungen Auszubildenden später dorthin wollen? Julia etwa könnte es sich vorstellen, Hauptsache, sie könne in einem Hotel arbeiten. Und Paul möchte sich noch nicht festlegen. Spanien, Deutschland oder doch lieber auf ein Kreuzfahrtschiff - er rechnet damit, viele Angebote zu bekommen.


Quelle: tagesschau.de, 21.09.2024