Polen leidet unter Emigration von Facharbeitern

Die Situation auf dem polnischen Arbeitsmarkt differiert regional sehr stark. Während es in Warschau kaum an Jobs mangelt, lag Ende 2007 die Arbeitslosenquote in einigen Gebieten bei 18 Prozent. Dennoch ist die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften generell größer als das Angebot.


Berufsschulausbildung relativ schlecht

Ausländische Firmen suchen vor allem Ingenieure, Maschinenbedienungspersonal und Informatiker. Löhne und Gehälter im Unternehmenssektor werden Prognosen zufolge 2008 um 10 Prozent steigen.

Die Rekrutierung geeigneter Fachleute ist in Polen schon seit einigen Jahren schwierig. Aus Sicht international aufgestellter Unternehmen stellt sich das Problem, Spezialisten in ihrem Wirtschaftszweig zu finden, die neben Fachwissen auch über Fremdsprachenkenntnisse im erforderlichen Umfang verfügen.

Ein Grund der Misere liegt darin, dass viele polnische Arbeitskräfte in andere europäische Länder emigriert sind. Auch arbeiten viele auf dem Schwarzmarkt, vor allem im Bauwesen, im Handel und anderen Dienstleistungsbereichen. Schätzungen beziffern ihre Zahl auf 1,2 Millionen, allerdings mit rückläufiger Tendenz.

Massenabwanderung von Facharbeitern

Nicht nur Manager und Ingenieure fehlen auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch Spezialisten auf mittleren Ebenen. Da gut ausgebildete Facharbeiter in Massen nach Irland, Großbritannien und in die skandinavischen Länder - viele Ingenieure auch nach Russland - emigriert sind, ist in Polen ein gravierender Fachkräftemangel entstanden. Vom Wegzug der Arbeitskräfte ist vor allem das Bauhandwerk betroffen.

Elektriker, Schweißer, Maurer, Verputzer, Fliesenleger, Zimmerer, Dachdecker, Klempner und Innenausstatter, sie alle sind sehr rar auf dem Arbeitsmarkt geworden. Nach Einschätzung von Vertretern der Bauwirtschaft fehlen in ihrer Branche momentan bis zu 300.000 Arbeitskräfte.

Sowohl Banken und Versicherungen als auch das produzierende Gewerbe klagen über fehlende Informationstechnologie- und Finanzfachleute auf dem Arbeitsmarkt. Häufig müssen sie diese Fachkräfte daher über Personalberater direkt in anderen Unternehmen suchen.

Auch Industriekaufleute sowie Rechtsanwalts- und Notargehilfen sind schwer zu finden, weshalb Firmen zur Besetzung einfacherer Positionen notgedrungen mitunter auf Hochschulabsolventen zurückgreifen müssen - bei entsprechend höherer Vergütung.

Weiterhin fehlen Lagerarbeiter - besonders dort, wo viele Logistikzentren und Lagerhallen platziert sind, zum Beispiel westlich von Warschau sowie bei Poznan und Lodz. Besonders Kraftfahrzeug-Firmen berichten über Rekrutierungsprobleme in den Sonderwirtschaftszonen (SWZ); die Lohnerwartungen der raren Neulinge betrügen dort mindestens 2.500 Zloty (Zl) brutto.

Junge Menschen studieren vorwiegend Betriebswirtschaft und Marketing, Pädagogik, politische Ökonomie sowie Verwaltung, also sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Fächer, technische Richtungen dagegen weniger. Doch suchen ausländische Firmen, die nach Polen kommen, vor allem Ingenieure, Maschinenbedienungspersonal und Informatiker.

Von 2000 bis 2006 ist die Zahl der Arbeitslosen mit höherer Bildung um rund 120 Prozent gestiegen, gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit bei Berufsschulabsolventen um 10 Prozent zurückgegangen. Trotzdem gilt die Berufsschulausbildung in Polen als relativ schlecht. Ein duales Bildungssystem wie in Deutschland gibt es nicht.

Löhne steigen stärker als Produktivität

Die Bruttolöhne sind in Polen 2007 im Durchschnitt nominal um über 9 Prozent gestiegen. Auch 2008 sollen es erneut +8 bis +11 Prozent werden. Im Zeitraum Januar bis Mai 2008 waren es 11 Prozent. Gleichzeitig nimmt die Arbeitsproduktivität nur etwa um 4 bis 5 Prozent zu (Januar bis Mai 2008: 4,9 Prozent).

Die Reallöhne, bisher noch immer ein wichtiger Standortfaktor in jüngeren EU-Ländern, sind angesichts der relativ geringen Inflation 2007 deutlich gestiegen. In Produktionsbetrieben dürften die Gehälter 2008 etwas stärker steigen als in Dienstleistungsbereichen, schätzen Analysten.

Dramatische Situation in einigen Branchen

Doch sagt das Durchschnittswachstum der Löhne nichts über die dramatische Situation in einigen Branchen aus. In Unternehmen des Baugewerbes mit mehr als 49 Beschäftigten sind die Gehälter 2007 um fast 16 Prozent auf durchschnittlich 2.911 Zl (umgerechnet 769 Euro; 1 Euro = 3,7829 Zl im Jahresmittel 2007) gestiegen.

Diese Angabe ist jedoch lediglich als Richtwert zu verstehen, denn die tatsächlich gezahlten Löhne liegen vor allem in ausländischen Unternehmen deutlich darüber. Firmen mit ausländischen Kapitalanteilen planen in den nächsten beiden Jahren Gehaltserhöhungen von jeweils circa 6 Prozent, wie das Personalberatungsunternehmen Mercer HR in einer Untersuchung, die aber nicht nur die Baubranche umfasst, festgestellt hat.

Nach einer Analyse der Konföderation Privater Arbeitgeber PKPP Lewiatan mussten 66 Prozent der befragten Bauunternehmen im Zeitraum Anfang 2006 bis Jahresmitte 2007 Neulingen höhere Löhne zahlen als ursprünglich vorgeschlagen; in der Industrie lag dieser Prozentsatz "nur" bei 48 Prozent, im Handel bei 44 Prozent.

Im Dienstleistungssektor hat es offenbar Business Process Outsourcing-Zentren (BPO) besonders stark getroffen: Einige sollen inoffiziellen Angaben zufolge ihre Löhne bereits 2005 und 2006 im Schnitt um 50 Prozent erhöht haben.

Im Jahr 2007 sind Call-Center-Dienstleistungen erneut teurer geworden, was viele Unternehmen - unter anderem Versicherungen - dazu bewegt, stärker auf das Medium Internet zu setzen. Gehaltssteigerungen über Durchschnitt gab es 2007 auch im Bankensektor.

Nach einer Untersuchung des Arbeitgeberverbandes Lewiatan zur Jahresmitte 2007 hat gut die Hälfte der befragten Firmen die Gehälter ihrer Angestellten analog zur gestiegenen Arbeitsproduktivität erhöht, doch taten dies fast 20 Prozent auch völlig losgelöst hiervon. Umfragen der Nationalbank (NBP) zufolge wollten über 40 Prozent der Unternehmen im 2. Quartal 2008 die Gehälter ihrer Beschäftigten nochmals anheben.

Die größte Lohndynamik beobachten Beratungsfirmen bislang bei leitendem Personal, doch auch bei Arbeitnehmern mit niedrigerer Qualifikation setze Bewegung ein. Fachleute erwarten, dass der Durchschnittslohn in Polen von zurzeit etwa 3.000 Zl (840 Euro) auf über 3.500 Zl am Ende dieses Jahrzehnts hochklettern könnte.

Steigende Arbeitskosten

Doch nicht nur die Löhne steigen, sondern auch andere Arbeitskosten. So haben sich die Kosten der Arbeitssuche deutlich erhöht. Kandidaten fordern im Bewerbungsgespräch heute wesentlich mehr Geld als Mitarbeiter, die schon einige Jahre im selben Betrieb arbeiten.

Das durchschnittliche Bruttolohnniveau auf Euro-Basis liegt etwa gleichauf mit Tschechien und ist höher als in Ungarn und der Slowakei. Allerdings verdienen Führungskräfte, Facharbeiter und Arbeitnehmer in der Produktion in Polen zum Teil wesentlich mehr als ihre tschechischen Kollegen. Im Vergleich zu Westeuropa sind die Bezüge indes immer noch relativ niedrig.

In Polen werden in der Regel zwölf Gehälter im Jahr gezahlt. Als Weihnachtsprämien sind Gratifikationen (Einkaufsgutscheine) durchaus üblich. Seltener werden Urlaubsprämien (einige Hundert Zloty) gewährt.

Insbesondere bei der Vergütung von leitendem oder Verkaufspersonal werden meist feste Grundgehälter mit variablen Anteilen kombiniert, beispielsweise in Form eines Bonus oder einer regelmäßigen Prämie. Boni treten immer häufiger an die Stelle von Gehaltserhöhungen.

Prämien, Provisionen und Zusatzleistungen immer wichtiger

Um Führungspositionen zu besetzen, bieten Arbeitgeber neben entsprechend hohen Gehältern zum Beispiel Studienfinanzierungen, Pensionsmodelle, vergünstigte Darlehen, Gehaltsnebenleistungen (wie Versicherungen, Leistungen im Bereich der privaten Gesundheitsvorsorge oder Sportmöglichkeiten) und in selteneren Fällen auch Stock Options (Mitarbeiter-Aktien) an.


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von Heiko Steinacher


Quelle: bfai Online-News, Nummer 18 vom 30.09.2008