Ägypten: Exportchancen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung
Der Artikel ist ein Auszug aus der iMOVE-Marktstudie Ägypten für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, die in diesen Tagen erschienen ist.
Als Beitrag zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die bei rund 29 Prozent liegt, könnten Beratungs- und Bildungsdienstleistungen "Made in Germany" helfen, diese zu senken.
Das Bestreben der neuen Regierung liegt darin, die Schwächen und Stärken in der derzeitigen technischen Ausbildung zu identifizieren und einen Weg zu finden, die Qualität des vorhandenen Systems zu verbessern. Ziel ist es, gut qualifizierte Techniker auszubilden, die dazu beitragen können, Ägyptens Wirtschaft auf regionaler aber auch auf internationaler Ebene konkurrenzfähiger zu machen.
Das Bildungsministerium plant daher die Gründung einer nationalen Behörde für berufliche Bildung, die als einzige staatliche Behörde für die Entwicklung und Überwachung von Reformen in der beruflichen Bildung in Ägypten zuständig sein soll. Sie soll vor allem für die Verbesserung der Ausbildung verantwortlich sein und die Bedürfnisse der Privatwirtschaft besser in das Ausbildungssystem integrieren.
Grob skizziert lassen sich die Exportmöglichkeiten für deutsche Anbieter von beruflicher Aus- und Weiterbildung nach Ägypten in drei potenzielle Kundengruppen unterteilen:
1. Die ägyptische Privatwirtschaft
Hier konnten deutsche Anbieter in den letzten Jahren gute Wachstumsmöglichkeiten identifizieren. Ägyptische Unternehmen investierten bei guter Auftragslage verstärkt in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nutzten dafür die finanzielle Unterstützung sowohl inländischer Förderprogramme (und hier besonders den Industrial Training Council (ITC) des Ministeriums für Handel und Industrie) als auch die Unterstützung internationaler Geberländer.
Die private Nachfrage nach Ausbildungsleistungen ging nach der Revolution zurück. Hier gilt es zu beobachten, welche Programme von internationalen Geberländern aufgelegt werden, die auch von der ägyptischen Privatwirtschaft genutzt werden können.
Im Zuge einer Erholung der Weltwirtschaft wird auch in Ägypten mit steigenden Investitionen in Aus- und Weiterbildung gerechnet.
2. Programme internationaler Geberländer im Bereich berufliche Aus- und Weiterbildung
In diesem Bereich finden sich im nachrevolutionären Ägypten eine Vielzahl von neu aufgelegten Programmen, in denen deutsche Anbieter gute Chancen haben, ihre Leistungen in Ägypten anzubieten.
Von deutscher Seite sind dies etwa Programme im Rahmen der Transformationspartnerschaft des Auswärtigen Amtes oder im Rahmen des Nationalen Beschäftigungspaktes für Ägypten sowie Programme des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), des Bundesministeriums für Forschung und Bildung (BMBF) oder des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB).
Die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) nimmt im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Ägypten traditionell eine Schlüsselrolle ein. Deutsche Anbieter sollten sich daher stets über die aktuellen Projekte der GIZ informieren, um Kooperationsmöglichkeiten auszuloten.
Auf ägyptischer Seite übernimmt dies die Orascom Foundation in Zusammenarbeit mit der deutschen Regierung.
3. Ägyptische Staatsunternehmen, Behörden und Ministerien
Das Direktgeschäft mit staatlichen Institutionen jeglicher Art gilt als schwierig, sowohl was die Akquisition des Auftrages als auch die spätere Umsetzung und Zahlung der Leistungen betrifft.
Gleichzeitig ist hier der größte Bedarf in den kommenden Jahren besonders an Beratungsleistungen zur Umsetzung von Reformen, Lehrmaterialien bis hin zu einfachen Ausbildungsmodulen für bestimmte Ausbildungszentren zu erwarten.
Status und Bedarf an beruflicher Aus- und Weiterbildung
Der Global Competitiveness Report 2015–2016 betont die Schwäche des staatlichen ägyptischen Bildungssektors als Ganzes, vor allem im Hinblick auf die Qualität des staatlichen beruflichen Ausbildungssystems. In der Rubrik "Higher Education and Training" belegt Ägypten nur Platz 111 des Länderrankings, was eine Verschlechterung von vier Plätzen im Vergleich zu 2011/12 bedeutet. Auch hier wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, den Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung umfassend zu reformieren.
Mehrere internationale Studien benennen die Probleme des Ausbildungssystems sehr deutlich:
- die Unterfinanzierung von beruflicher Ausbildung,
- die veralteten Lehrpläne,
- die mangelhafte Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte,
- niedrige Löhne und
- unzureichende Fachdidaktik.
Im Ausbildungssystem herrschen große Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und Regionen.
Herausforderungen für Ägypten
Eine ungenaue Kenntnis des Schulungsbedarfs im Verhältnis zu den Marktanforderungen ist eines der Probleme und vergrößert die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt.
Weder die weiteren beruflichen Erfolge der Absolventen der Technischen Sekundarschulen (TSS) noch die Lehrinhalte werden geprüft und erfasst. Mangels einer regelmäßigen Evaluierung der Ausbildung auf der einen Seite und klarer Ausbildungsrichtlinien auf der anderen, werden die Potenziale nicht optimal ausgeschöpft.
Des Weiteren fehlt es an einer genauen, umfassenden, detaillierten und regelmäßig aktualisierten zentralen Datenbank für den Arbeitsmarkt und seine Bedürfnisse, welche eine Grundlage für nachfrageorientierte Angebote von Bildungseinrichtungen und Ausbildungsbetrieben in Ägypten bieten könnte.
Diese ist zwar im Rahmen der Ziele der Vision 2030 geplant, bisher jedoch nicht verwirklicht worden. Das Fehlen dieser Datenbank ist eine zentrale Herausforderung – denn ohne lässt sich der Bedarf der Privatwirtschaft an Facharbeitern nur schwer bestimmen.
Die Unterfinanzierung führt zu einem Mangel von qualifizierten Lehrkräften und Ausbildern, was die Weitergabe und den Erwerb von Wissen und Fähigkeiten stark einschränkt.
Durch die schwache Beteiligung des privaten Sektors bei der Gestaltung und Verwaltung der Programme kann kaum auf die Bedürfnisse des privaten Arbeitsmarktes eingegangen werden.
Einige Institutionen leiden unter Missmanagement und stehen einer optimalen Nutzung zum Wohle der Auszubildenden selbst im Weg: es gibt Fälle, in denen Ausbildungszentren den Jugendlichen den Umgang mit den verfügbaren Geräten aus Angst vor "Vandalismus" verwehren. Häufig steht dahinter die Angst der Ausbilder, bei der Bedienung von modernen Geräten oder der Auswertung von Daten zu versagen und damit ihre Autorität und ihr Gesicht vor der Klasse zu verlieren.
Die Ausbilder selbst haben nie eine Weiterbildung genossen und sind angesichts der technischen Entwicklungen überfordert. Oftmals mangelt es an anschaulichem Unterrichtsmaterial und die veralteten Anlagen können die Auszubildenden nicht auf den Arbeitsalltag in einem modernen Betrieb vorbereiten.
Die größten Probleme in Verbindung mit der (Jugend-)Arbeitslosigkeit Ägyptens lassen sich auf diese strukturellen Defizite zurückführen: die von den Unternehmen nachgefragten Qualifizierungen können wegen einer fehl gerichteten Ausbildung nicht angeboten werden und die angebotenen Stellen werden des Öfteren aufgrund ihrer finanziellen und arbeitstechnischen Mängel nicht angenommen.
Ein weiteres Problem ist der schlechte Ruf der technischen und beruflichen Bildung; denn die Ausbildung in den TSS allein reicht selten zu einer Festanstellung und wird deshalb nicht ernst genommen. Die Bedeutung und Qualität der praktischen Ausbildung nimmt ständig ab. So werden besonders TSS-Absolventinnen und -Absolventen im späteren Berufsleben mit Arbeiten betraut, die nichts mit den Ausbildungsprogrammen zu tun haben, die sie einmal abgeschlossen hatten.
Reformpläne für eine moderne Berufsbildung
Hatten während der Zeit Mubaraks und Morsis das Ministerium für Handel und Industrie und das Bildungsministerium bereits ambitionierte Pläne für Reformen im Bereich Technical and Vocational Education and Training (TVET) vorgelegt, so entwickelt auch das jetzige Kabinett Reformpläne für ein modernes Ägypten.
Der Plan für 2016/17 zur verfassungsrechtlich verankerten Verbesserung der beruflichen Bildung, der von der Abteilung für technische Ausbildung im Bildungsministerium erarbeitet wurde, konzentriert sich vor allem auf folgende Punkte:
- Entwicklung des 'Training for Employment'-Programms für die Vorbereitung von Arbeitskräften auf vorhandene Arbeitsstellen,
- Ausweitung des TSS-Angebots und der Spezialisierungsmöglichkeiten,
- Gründung einiger spezialisierter TSS, die eine Sozialausbildung anbieten,
- Angebot eines Weiterbildungsprogrammes für Sekundarschulabsolventen mit dem Ziel der Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt,
- Anknüpfen der technischen Sekundarausbildung an eine technische Hochschulausbildung,
- barrierefreier Zugang zu den Schulgebäuden,
- Imageaufwertung der beruflichen Ausbildung durch Kampagnen in den ägyptischen Medien,
- Qualitätserhöhung der Lehrpläne und Einsetzen technologischer Fortschritte bei der Ausbildung,
- Bereitstellung von ausreichendem Lehrmaterial im Verhältnis zur Zahl der Schülerinnen und Schüler,
- Einführung des dualen Systems in jeder TSS im Rahmen der "Eine Schule in jeder Fabrik"-Initiative, unterstützt von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ),
- bessere Qualität der Aus- und Weiterbildungsprogramme der Lehrenden,
- Gründung eines obersten Rat für technische und berufliche Ausbildung und
- Finanzierungsanreize für Geberländer und Privatunternehmer.
Bedarfe deutscher Unternehmen in Ägypten
Im Rahmen der Aktualisierung der iMOVE-Markstudie Ägypten erfolgte eine Befragung von in Ägypten tätigen deutschen Unternehmen rund um die Situation der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Ägypten.
Die Ergebnisse der Befragung zeigen unter anderem, dass deutsche Unternehmen in Ägypten in den folgenden Bereichen einen dringenden Ausbildungsbedarf verzeichnen:
- Management
- Verkauf, Personal und Verwaltung, Logistik, Informatik
- Ressourcen und Energie
- Handwerk und After-Sales
Grundsätzlich haben die deutschen Unternehmen Schwierigkeiten bei der Suche nach Personal. Das gilt für Arbeitskräfte mit einer fachlichen Qualifizierung und für akademisches Personal.
Fachartikel - Ägypten: Exportchancen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung
Dieser Fachartikel ist ein Auszug aus der iMOVE-Marktstudie Ägypten (Kapitel 3 "Aus- und Weiterbildungsmarkt und Exportmöglichkeiten"), die Anfang 2017 vollständig überarbeitet neu erschienen ist.
- Inhalt der Marktstudie: Deutsch-Arabische Industrie- und Handelskammer
- Autorinnen und Autoren der Marktstudie: Karin El-Shafei, Martina Ziebell, Azza Bilal, Dr. Rainer Herret, Yasmin Fauzy, Yasmine Bakr
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Quelle: iMOVE, Auszug aus iMOVE-Marktstudie Ägypten 2017, 30.03.2017