Japan: Ungleich verteilte Weiterbildungschancen

Der Anteil nicht-regulärer Arbeitskräfte in Japan macht mittlerweile circa 40 Prozent der gesamten Arbeitnehmerschaft aus. Insbesondere die Tourismusbranche war innerhalb der letzten zwanzig Jahre durch einen arbeitsmarkt- und personalpolitischen Kurswechsel gekennzeichnet, der zu einem signifikanten Anstieg des Anteils prekärer Arbeit führte.

  • Autor: Dr. Takahiro Nishiyama

Gerade in einer typischen Dienstleistungsbranche wie der Tourismus stellt sich die Frage, wie unter diesen Bedingungen weiterhin die hohe Qualität der Dienstleistungen sichergestellt werden kann. Denn hier sollten sich die Angestellten durch ein hohes Maß an Kompetenz auszeichnen, da die Qualität der vom Kunden gekauften Dienstleistung direkt auf deren Verhalten bezogen wird.

Das Ergebnis einer Befragung des Japan Institut for Labour Policy and Training (JILPT) zeigt jedoch, dass das Beherbergungs- und Gastgewerbe bei der Einstellung von Beschäftigten auf deren Qualifikation keinen großen Wert legt. Auch der Weiterbildung nach der Anstellung wird nur eine geringe Relevanz beigemessen.

Während sich im Baugewerbe circa die Hälfte der Unternehmen um die Weiterbildung und den Qualifikationserwerb ihrer Beschäftigten bemüht, plädieren nur 7,3 Prozent der Unternehmen im Beherbergungs- und Gastgewerbe für Maßnahmen zur Personalentwicklung.

Die geringe Relevanz der Qualifikation im Beherbergungs- und Gastgewerbe wird damit begründet, dass die Qualifikationen nur einen Teil der Berufskompetenz bilden, es keine für die Aufgaben in dem jeweiligen Unternehmen geeigneten Qualifikationsmaßnahmen gebe und der Qualifikationserwerb die Leistung der Mitarbeiter nicht nachhaltig verbessere.

Chancenungleichheit bei der Aus- und Weiterbildung

Um exemplarisch den Implementierungsgrad von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen in der Tourismusbranche zu ermitteln, wurden 2014 insgesamt 15 kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) aus der Tourismusbranche in der Präfektur Shizuoka befragt. Shizuoka zeichnete sich 2014 durch die fünftgrößte Übernachtungskundenzahl in Japan aus.

In den letzten beiden Jahren haben 53,3 Prozent der befragten Unternehmen eine innerbetriebliche Weiterbildung (OJT) offeriert. Problematisch erscheint allerdings die geringe Implementationsrate des OJT bei den nicht-regulär Beschäftigten − Vertragsarbeitern, Leiharbeitern, Teilzeitbeschäftigten und Aushilfsbeschäftigten −, obwohl sie den größten Teil der Belegschaften in der Tourismusbranche ausmachen.

In Hinblick auf die außerbetriebliche Weiterbildung (Off-JT) weist das Ergebnis der Befragung auf die noch deutlichere Chancenungleichheit bei den Weiterbildungsteilnahmen zwischen den regulär und den nicht-regulär Beschäftigten hin.

In den Interviews erwähnten drei der fünf Geschäftsführer, dass sie sich ein Off-JT-Programm aufgrund des rückläufigen Unternehmensgewinns und fehlender Finanzmittel nicht leisten könnten. Eine weitere Begründung der geringen Förderung der nicht-regulär Beschäftigten mit Blick auf das Off-JT-Programm lautete, dass ohnehin nur Bewerber mit ausreichender Kompetenz eingestellt würden.

Im Beherbergungsgewerbe werden häufig nicht-reguläre Beschäftigte auch im mittleren Management auf Stundenlohnbasis eingestellt. Ihnen werden dieselben Arbeitsaufgaben zugeteilt wie den regulären Angestellten, allerdings sind sie von Bonusprogrammen, Betriebsrenten und betrieblichen Sozialleistungen ausgenommen.

Eines der befragten Unternehmen mit 24 Mitarbeitern beschäftigt lediglich einen regulär Angestellten im höheren Management. In Hinblick auf die Unternehmensleistung stellt der Umsatz von minus elf Millionen Yen 2013 den zweitschlechtesten unter den befragten Unternehmen dar.

Zudem kommt in diesem Unternehmen kein transparentes System zur Personalentwicklung für nicht-regulär Beschäftigte zum Einsatz. Der Geschäftsführer hat nur widerwillig angemerkt, dass seine Mitarbeiter keine Chancen gehabt hätten, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten zur Vorbereitung auf ihr künftiges Berufsleben zu verbessern.

Reputation und Gewinne leiden

Die Kostenreduktion durch Übergabe von verantwortungsvollen Aufgaben an Personal des externen Arbeitsmarktes, kombiniert mit der Einsparung von Investitionen in die Weiterbildung der prekär Beschäftigten, kann in einer großen Inhomogenität der Dienstleistungsqualität resultieren und somit die Kundenzufriedenheit teilweise maßgeblich beeinträchtigen.

So zeigen Vergleiche zwischen von Kunden eingereichten Beschwerden und der Anzahl der nicht-regulären Arbeitskräfte eines Unternehmens, dass die Anzahl der Kundenbeschwerden bezüglich der Qualität von Dienstleistungen mit steigendem Anteil nicht-regulär Beschäftigter größer wird.

Begründet werden kann die signifikante Korrelation zwischen der Zunahme des Anteils der prekären Arbeit und dem hohen Wert des Beschwerde-Index dadurch, dass nicht-regulär Beschäftigte kaum die Chance eines systematischen und intendierten Wissenserwerbs bekommen und somit die heutigen, sich wandelnden Kundenbedürfnisse nicht befriedigen können.

Es ist eindeutig zu beobachten, dass die Zunahme der Zahl der nicht-regulären Arbeitskräfte zu einer Deprofessionalisierung der Arbeit im Hotel- und Beherbergungsgewerbe führt. In dieser Hinsicht wird die Kluft zwischen den von den Qualifizierungsmaßnahmen Profitierenden und den von diesen Ausgeschlossenen immer größer. Dies kann einen negativen Einfluss auf die gesamte Tourismusbranche in Japan ausüben.

Die Anstellung von Leih- und Teilzeitarbeitskräften dient allein der kurzfristigen Kostenersparnis, stellt jedoch keine nachhaltige Unternehmensstrategie im ständigen Wandel der Kundenanforderungen dar.

Regierung und Unternehmen müssen nun im Angesicht des sich wandelnden Arbeitsmarktes auf den veränderten Talentpool reagieren, um Qualitätsstandards halten zu können.

Erste Ansätze hierfür wären die Gewährleistung eines betrieblichen und staatlichen Qualifikationssystems für nicht-regulär Beschäftigte, die Sicherstellung des Marktwertes der von den Beschäftigten erlangten Qualifikationen − wie in Deutschland durch das Konzept des "Berufs" – und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen und der Arbeitspolitik im Hinblick auf die Aus- und Weiterbildung − kurz: eine Institutionalisierung der Qualifikation −, wenn man denn beabsichtigt, einen aussichtsreichen, funktionierenden externen Arbeitsmarkt zu etablieren.


Quelle: Japanmarkt online, japanmarkt.de, 25.05.2017