Verstärkung aus Südamerika: Eine Stadt geht neue Wege
Im Kampf um Fachkräfte für die Kinderbetreuung geht die Stadt Munderkingen, Baden-Württemberg, neue Wege. Internationales Flair herrscht jetzt im Kinderhaus Schillerstraße.
- Von Reiner Schick
Ob Instagram, eigene Website oder Tageszeitung: Es half alles nichts. "Mit regulären Stellenanzeigen kommen wir einfach nicht weiter. Wir haben gar keine bis wenig qualifizierte oder komplett untaugliche Bewerbungen", berichtet Munderkingens Bürgermeister Thomas Schelkle. Wie andere Kommunen auch leide man bei der Suche nach Personal für die Kinderbetreuung unter einem erheblichen Mangel an Fachkräften. "In Deutschland fehlen insgesamt 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Das bekommen auch wir zu spüren", sagt Schelkle.
Deshalb griff man nach Rücksprache mit dem Gemeinderat zu einer besonderen Maßnahme: Seit kurzem arbeiten Lucia Gallo (36) und Yisell Romero (26) aus Kolumbien und Mildred Flor (31) aus Ecuador als pädagogische Assistentinnen im Munderkinger Kinderhaus Schillerstraße. Vermittelt wurden die drei Frauen von der Agentur "Talent Orange" aus Frankfurt, die seit 13 Jahren auf die Rekrutierung von Fachpersonal aus dem Ausland spezialisiert ist. Zunächst lag unter dem ursprünglichen Firmennamen "Capitalent Medical" der Fokus auf dem Gesundheitswesen, im Jahr 2020 folgten die Umbenennung und die Erweiterung des Geschäftsfelds um den Bereich Erziehung.
Was der Stadtverwaltung wichtig ist
Man habe sich im Vorfeld gut über "Talent Orange" informiert, um sicherzustellen, dass man es mit einem seriösen und engagierten Partner zu tun hat, betont Verwaltungsleiter Axel Leute: "Es gab eine Videokonferenz, bei der sich alle Beteiligten austauschen und kennenlernen konnten." Besonders wichtig sei, "dass man sich um die Menschen, die nach Deutschland kommen, auch kümmert". So sei eine Vertreterin der Agentur bereits in Munderkingen gewesen, um sich nach den Arbeitsbedingungen für ihre Talente, wie sie ihre vermittelten Kräfte nennt, vor Ort zu erkundigen.
Mit das wichtigste Kriterium für eine Zusammenarbeit ist jedoch die fachliche Qualifikation der Arbeitskräfte. "Alle drei haben ein abgeschlossenes Bachelorstudium in frühkindlicher Bildung auf deutschem Niveau", sagt Thomas Schelkle. Was zum auch in Deutschland gültigen Abschlusszertifikat noch fehlt, ist die Praxiserfahrung in einem Anerkennungsjahr: "Das dürfen sie nach Rücksprache mit dem Innenministerium bei uns auf neun Monate verkürzt absolvieren." Weitere Bedingung: Es muss mindestens das Sprachniveau der Stufe B2 vorhanden sein. Alle drei Frauen hätten dies bei einem neunmonatigen Sprachkurs in ihren Ländern erworben.
Ziel ist, dass sie nach dem Anerkennungsjahr mit einer unbefristeten Arbeitserlaubnis nahtlos als Erzieherinnen bei der Stadt Munderkingen arbeiten. "Talent Orange sagt, dass 96 Prozent ihrer Talente in Deutschland bleiben und 85 Prozent auch nach fünf Jahren noch bei ihrer ersten Stelle arbeiten", berichtet Axel Leute. "Und wir hoffen natürlich auf eine 100-Prozent-Quote."
Stadt ist überzeugt: Die Investition lohnt sich
Das ist kein Wunder, denn die Stadt Munderkingen lässt sich das Unterfangen einiges kosten. Eine exakte Summe mag der Bürgermeister nicht nennen, Schelkle spricht aber von einer mittleren fünfstelligen Zahl je Erzieherin. In dem Betrag enthalten sind sämtliche Kosten für die Vermittlung, Sprachkurs, Visa und den Umzug der Frauen. "Die Agentur kümmert sich auch um alle administrativen Angelegenheiten mit den anderen Behörden", erklärt Axel Leute. "Die Stadt hat im Grunde keine andere Aufgabe, als sie herzlich willkommen zu heißen." Lediglich das Gehalt, das sich wie bei allen anderen Angestellten am Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes orientiert, muss von der Stadt bezahlt werden.
Schelkle und Leute sind überzeugt, dass sich die Investition lohnt - zumal die Stadt, würde sie weiterhin auf den herkömmlichen Weg der Personalsuche setzen, finanziell nicht viel besser davonkommen würde und keine Garantie hätte, eine Fachkraft zu bekommen. "Bei Ausbildung und Werbung sind wir da ruckzuck auch im fünfstelligen Bereich", sagt Axel Leute. "Und so haben wir die starke Aussicht, unsere Stellen auch besetzt zu bekommen." Ein Ziel, das man auch den Familien in Munderkingen schuldig sei, ergänzt der Bürgermeister. "Wir wollen ein verlässlicher Partner sein für die Eltern in der Stadt und unser Betreuungsangebot aufrechterhalten", sagt Schelkle.
Für mich ist es ein Traum, in Deutschland zu arbeiten und eine große Chance, mich als Erzieherin weiterzuentwickeln
Lucia Gallo
Und nicht nur die Eltern und Kinder, auch die drei Erzieherinnen selbst profitieren von der Geschichte. In ihren Heimatländern ist die Arbeitsmarktsituation nämlich genau umgekehrt wie in Deutschland. "Auf eine freie Stelle gibt es 400 Bewerbungen, und längst nicht alles sind Vollzeitstellen", sagt Axel Leute. "Für mich ist es ein Traum, in Deutschland zu arbeiten und eine große Chance, mich als Erzieherin weiterzuentwickeln", erzählt jedenfalls Lucia Gallo, die ebenso wie ihre Kolleginnen recht gut deutsch spricht. "Ich möchte Deutschland kennenlernen und meine Kenntnisse in Montessori-Pädagogik, die ich in Ecuador erlernt habe, weiterentwickeln", meint Mildred Flor.
Alle drei haben, obwohl erst wenige Wochen im Dienst, übrigens bereits erste Unterschiede im Kita-Alltag zwischen ihrer Heimat und Deutschland festgestellt. In Kolumbien, wo eine Art Schuluniform schon im Kindergarten getragen wird, sei der Tagesablauf strenger durchgeplant, sagt Yisell Romero. "Hier dürfen die Kinder oft selbst entscheiden, ob sie lieber etwas basteln oder spielen wollen. Dadurch können sie sich individueller entwickeln."
Alle drei Frauen haben in ihrer Heimat Familien, aber keine eigenen Kindern, die sie zurücklassen. Ihre Angehörigen seien schon etwas traurig, aber sie freuen sich auch, dass sie so eine Chance bekommen. "Natürlich habe ich auch viele Emotionen, alles ist interessant und neu für mich hier", ergänzt Lucia Gallo. Mildred Flor vermisst den versprochenen Schnee, "aber das Bier ist gut". Mit der Verständigung klappe es schon ganz gut, wenngleich ihnen das Schwäbisch noch gewisse Probleme bereite. Aber die drei unterstützen sich gegenseitig ("Wir sind wie Schwestern"), wohnen aktuell zusammen in Ehingen und bald auf dem Munderkinger Schulgelände in der ehemaligen Hausmeisterwohnung, die aktuell von der Stadt hergerichtet wird.
Das sagt das Leitungsteam
Glücklich über den Personalzuwachs aus Südamerika ist auch das Leitungsduo des Kinderhauses Schillerstraße. "Wir freuen uns sehr. Die drei entlasten uns, und die Kinder gewöhnen sich sehr schnell an die neuen Bezugspersonen", sagt Bianca Sezer. Auch von den Eltern komme positive Resonanz. "Die Herkunft der Erzieherinnen ist zweitrangig. Wichtig ist, dass die Eltern sehen: Es bewegt sich was, die Stadt handelt, um den gesetzlichen Betreuungsauftrag zu erfüllen", findet Stephan Ott.
Auf dem Lehrplan der drei Neuzugänge stand in den vergangenen Wochen übrigens auch eine kleine Fasnetsschulung. "Wir haben einen Film dazu angeschaut und singen täglich das Narrenlied", erzählt Bianca Sezer. Letzteres scheint zu wirken, denn spontan singt Lucia Gallo los: "In Munderkingen hoch und frei." (...)
Quelle: schwaebische.de, 14.02.2025